Startseite » Industrie 4.0 »

Mit offenen Plattformen zum Android der Automation

Große Branchenumfrage: Mit Linux & Co zu umfassenden Ökosystemen
Mit offenen Plattformen auf dem Weg zum Android der Automation

„Offene Plattformen“ sind in Robotik und Automation derzeit ein heißes Thema. Aber was sind eigentlich solche offenen Plattformen? Warum stehen sie so im Fokus? Was sind die Vorteile? Sind wir damit auf dem Weg zu einem Android der Automation? Wir haben uns umgehört.

Autor: Armin Barnitzke

Über offene Plattformen sprechen Automatisierungsspezialisten wie Siemens, Bosch Rexroth, Phoenix Contact, Wago, Lenze, Keba und Weidmüller derzeit genauso wie Robotikspezialisten wie Kuka oder Voraus Robotik und Wandelbots. Um herauszufinden, was es mit diesem Trend auf sich hat, haben wir gemeinsam mit den Kollegen der Schwesterzeitschrift KEM Konstruktion Automation in einer großen Branchenrecherche die Plattform-Aktivitäten unterschiedlicher Player unter die Lupe genommen.

Plattform als Ökosystem

Dabei zeigen sich bereits bei der einleitenden Frage „Was verstehen Sie unter einer Plattform?“ einige Unterschiede. So gehen manche das Thema „Plattform“ eher unter dem Gesichtspunkt eines Ökosystems bzw. eines Zusammenbringens von Partnern, Lösungen und Kunden an.

So positioniert Kuka seine Plattform Robotic Republic als „ein herstellerübergreifendes Ökosystem, das alle Bestandteile von leistungsfähigen Roboteranwendungen – Hard- und Software-Komponenten ebenso wie einsatzfertige Automatisierungslösungen – bündelt und für Kunden einfach verfügbar macht“, wie Björn Märtens, Head of Ecosystem bei Kuka Deutschland erläutert.

Kuka: „Unsere Plattform ist die Robotic Republic“

Und auch Siemens definiert seine Xcelerator-Plattform umfangreicher als nur unter rein technischen Gesichtspunkten. „Uns ist wichtig, auch eine offene Businessplattform bereitzustellen, die für unsere Kunden Lösungen von Siemens und Partnern anbietet“, berichtet Roland Melzer, Senior Vice President HMI & Operations bei Siemens Digital Industries. „Industrial Operations X ist dabei unser Portfolio für alle Aspekte der digitalen Produktion und Automatisierung.“

Siemens: „Industrial Operations X für die digitale Produktion“

Stephan Hotz, Chief Product Officer bei Wandelbots, vergleicht das mit dem Online-Dienst Uber, der eine digitale Infrastruktur bereitstellt, die Fahrer und Fahrgäste vernetzt, sodass ein Personentransport als Wertleistung ausgetauscht werden kann. „Solche Plattform-Ansätze, die Hersteller, Programmierer und Anwender agnostisch und einfach verbinden, bieten auch in der Robotik eine großartige Chance, die Technologie mehr Menschen zugänglich zu machen.“

Voraus: „Hardware-agnostischer Middleware-Layer für Industrieroboter“

Denn natürlich stecken hinter solchen Plattformen nicht nur Geschäftsmodelle und Partner-Ökosysteme, sondern als Basis konkrete digitale Infrastrukturen – beispielsweise offene Schnittstellen (APIs), damit die verschiedenen Lösungen auch miteinander kompatibel sind.

Plattform als Infrastruktur

Manche Automatisierer gehen das Thema Plattform allerdings noch technischer und näher an der Feldebene an. Sie haben offene Betriebssysteme bzw. offene Middleware-Software entwickelt, die dafür sorgen, dass Softwarebausteine möglichst hardware- oder herstellerübergreifend funktionieren. Beispiele sind Bosch Rexroth (ctrlX Automation), Lenze (Nupano), Weidmüller (uOS), Keba (Kemro X) oder Phoenix Contact (PLCnext).

„Eine solche Plattform ist darauf ausgerichtet, verschiedene Hard- und Software-Elemente miteinander zu verknüpfen und durch entsprechende standardisierte Schnittstellen eine nahtlose Integration von Automatisierungsfunktionen zu ermöglichen“, berichtet Thomas Maag, Leiter Produktmanagement der Business Unit Automation & Electrification Solutions, Bosch Rexroth.

Bosch Rexroth: „Ctrlx Automation überwindet die Grenzen zwischen Maschinen, IT und IoT“

Werner Paulin, Head of New Automation Technologies bei Lenze vergleicht das „mit einer Art Bodenplatte, auf der Maschinenbauer ihre eigenen digitalen Dienste aufbauen können – basierend auf IT-Standards und Hardware-unabhängig.“

Lenze: „Nupano nutzt offene IT-Standards und Programmiersprachen“

Der Roboter-Software-Spezialist Voraus Robotik verfolgt ähnliche Hardware-übergreifenden Pläne. CEO Jens Kotlarski: „Als Plattform verstehen wir eine Hardware-agnostische Software, die die Entwicklung von Automatisierungsprozessen zentralisiert, standardisiert und modernisiert, dabei aber gleichzeitig eine Echtzeit-Ausführung und Orchestrierung der Prozesse ermöglicht – und die offen ist und ohne Vendor-Lock flexibel erweiterbar.“

Wandelbots: „Wir bringen eine roboter-agnostische Software-Plattform“

Vorteil: App-Konzepte

Ein gutes und bekanntes Beispiel für eine solche „offene und hardware-unabhängige Plattform“ ist das Smartphone-Betriebssystem Android, das einerseits herstellerübergreifend auf jeder Menge an Endgeräten läuft und andererseits über den Google App-Store eine große Zahl an Apps, auch von Drittherstellern, zur Verfügung stellt. Um die Neuentwicklung von Apps zu unterstützen, existiert mit Android Studio zudem eine passende Entwicklungsumgebung.

Solche Konzepte sollen nun also auch in die Automation einziehen. Denn die Plattformidee bietet jede Menge Vorteile: Ein Beispiel sind eben App-Konzepte, denn damit können Anwendungen schnell entwickelt und implementiert werden. Zudem können sich Unternehmen eigenen Entwicklungsaufwand sparen, weil bestimmte Funktionen bereits als App zur Verfügung stehen.

„Unser PLCnext Store als Marktplatz für Software-Komponenten rund um PLCnext Technology eröffnet Vorteile in der Nutzung schon vorhandener Software-Komponenten als App. Dadurch ergibt sich eine erhebliche Zeitersparnis, denn viele bestehende Funktionen müssen nicht von Grund auf neu erstellt werden“, berichtet Benjamin Homuth, Leiter PLCnext Technology bei Phoenix Contact.

Phoenix Contact: „Eine Plattform muss möglichst kompatibel sein“

Dirk Volkening, Head of Product Technology Management bei Wago, nickt: „Das App-Konzept bietet die Möglichkeit, Automatisierungsprojekte effizient zu strukturieren und zu vereinfachen. Kunden können also für die jeweilige Teilaufgabe die passende App auswählen und so die Effektivität bei der Entwicklung und die Wiederverwendung der Teilkomponenten steigern.“

Wago: „Offene Plattformen erweitern den Lösungsraum“

Vorteil: Einfache Programmierung

Hand in Hand mit dem Vorteil „App Konzepte“ geht das Verschmelzen der OT-Welt mit der modernen IT-Welt, inklusive der Nutzung moderner Programmiersprachen. Denn damit wird die Automation interessant für Fachkräfte und Softwareexperten aller Art: Wenn die Automatisierung offen ist für die Konzepte der IT-Welt (moderne Programmierkonzepte wie DevOps, Hochsprachen wie C++, Python, C#, moderne Entwicklungs-Werkzeuge wie Eclipse und Visual Studio), dann können auch IT-Programmierer Lösungen für die Automatisierung entwickeln, ohne in die Tiefen der proprietären Roboterprogrammierung oder der SPS-Programmierung nach IEC 61131 hinabsteigen zu müssen.

Wenn Maschinenprogramme zukünftig nicht mehr nur in der IEC 61131 Welt programmiert werden können, sondern auch in modernen Sprachen wie Go oder Rust bringe das gerade für Maschinenbauer „mehr Flexibilität und Freiheit“, ergänzt Werner Paulin von Lenze. „Insbesondere für Nicht-Echtzeit-Anforderungen stehen praktisch alle Sprachen zur Verfügung.“ Und natürlich öffnet das die Tür für Entwickler, die bisher wenig oder gar keinen Kontakt zur Automatisierungsindustrie hatten, ergänzt Wandelbots-CPO Stephan Hotz. „Das erweitert den Markt und beschleunigt Innovationen durch kreative Impulse.“

Vorteil: Co-Creation

Dass das partnerschaftliche Miteinander in Ökosystemen Kreativität und Innovation fördert, bestätigt Kuka-Mann Björn Märtens: „Am Beispiel unserer Robotic Republic erleben wir täglich, dass es zu einer gegenseitigen Befruchtung zwischen unserer Creator-Community und uns als Roboterhersteller kommt. Die gegenseitige Unterstützung bei der Entwicklung neuer Produkte und Lösungen fördert Innovationen auf beiden Seiten.“

Auch Thomas Maag lobt die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit und Co-Creation. „Offene Plattformen wie ctrlX Automation schaffen eine gemeinsame Welt, in der Partnerunternehmen ihre Stärken und Lösungen einbringen können, was zu einer breiten Palette an Apps im ständig wachsenden Ökosystem führt.“

Vorteil: Flexibel und zukunftsfähig

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die größere Flexibilität. „Offene Plattformen in der Automatisierung ermöglichen eine höhere Flexibilität, Interoperabilität und Skalierbarkeit der Systeme“, sagt Christian Gabriel, Vice President General Automation bei Keba Industrial Automation.

Keba: „Bei Kemro X setzen wir auf Standards aus der IT“

Das bestätigt Benjamin Homuth von Phoenix Contact: „Proprietäre Systeme sind immer nur so veränderbar und erweiterbar, wie es der jeweilige Hersteller zulässt. Offene Systeme dagegen lassen sich besser auf die Anwendung anpassen, erweitern und mit neuen Technologien auf dem neusten Stand halten.“ Das sorge letztlich auch für Zukunftsfähigkeit, ergänzt Martin Flöer, Strategic Program Manager bei Weidmüller, „da man im Gegensatz zum geschlossenen System nicht auf einen Hersteller angewiesen ist.“

Weidmüller: „u-OS für die Integration von OT und IT auf einer Plattform“

Soweit also die Vorteile. Aber wie soll das Ganze konkret in der Praxis aussehen? Um die Offene-Plattform-Idee in die Fabriken zu tragen, sind zwei grundsätzliche Herangehensweisen am Markt erkennbar, die sich aber nicht wirklich fundamental widersprechen, weil sie letztlich auf ähnlichen Technologien basieren.

Zwei Ansätze erkennbar

  • Einige Anbieter wie Bosch Rexroth (ctrlX), Keba (Kemro X), Phoenix Contact (PLCnext) oder Weidmüller (u-OS) bauen ein neues möglichst offenes Automatisierungssystem (etwas vereinfacht gesagt eine Art „SPS der nächsten Generation“). Dieses Automatisierungssystem ist meist Linux-basiert, nutzt offene Standards und APIs und hat moderne technische Ansätze (Data Layer, Container) integriert, damit IT-Anwendungen parallel zu Maschinensteuerung direkt auf der SPS-Hardware laufen können.
  • Andere Anbieter wie Lenze (Nupano), Siemens (Industrial Edge) nutzen ähnliche technische Ansätze (etwa Linux und Container), platzieren ihre Plattform-Software eher ergänzend zur Maschinensteuerung – meist auf einem zusätzlichen Edge-Gerät oder parallel zur Maschinensteuerung auf einem Industrie-PC. Das bietet auch die Möglichkeit, bestehende Maschinen fit für die digitale Zukunft zu machen.

Natürlich sind die Grenzen fließend: Denn ctrlX OS von Rexroth beispielsweise läuft ebenfalls als Ergänzung zur bestehenden Maschinensteuerung auf Edge-Systemen. Damit solche Plattform-Ideen in der Fabrikautomation aber wirklich funktionieren, müssen sie aber die vielfältige IT-Welt und die harte Echtzeit-Welt unter einen Hut bekommen, ergänzt Jens Kotlarski. „Eine Plattform muss nicht nur die Entwicklung, sondern auch die Ausführung sicherstellen.“

Linux und Container-Technik

Und natürlich müssen diese Plattformen auch wirklich offen sein, betont Lenze-Experte Werner Paulin: „Proprietäre Schichten würden den Fortschritt lähmen.“ Und gerade diese „echte Offenheit“ dürfte durchaus eine Umstellung sein für die Automatisierungswelt, die sich bislang eher durch proprietäre Abschottung ausgezeichnet hat (Stichwort „Feldbus-Kriege“). Diese Zeiten scheinen aber nun vorbei. So betont Phoenix-Contact-Mann Benjamin Homuth: „Proprietäre Ansätze haben es in der Plattform-Welt deutlich schwerer als solche, die auf Offenheit, Standards und bereits weit verbreiteten Technologien aufsetzen.“

Aber wie sorgt man nun für die geforderte Offenheit? Ein vielversprechender Ansatz basiere auf einem Echtzeit-Linux kombiniert mit einer Echtzeit-fähigen Container-Technologie, erläutert Lenze-Experte Werner Paulin: „Dieser Ansatz ist absolut offen, basiert nativ auf IT-Standards und ermöglicht es, IT und OT nahtlos zu integrieren.“

Für Weidmüller-Manager Martin Flöer sind Container gemäß der OCI (Open Container Initiative) ebenfalls ein gutes Beispiel für den richtigen Weg in Richtung Offenheit. „Sie haben eine breite Akzeptanz und es ist ein Leichtes, einen einmal erstellten Container auf unterschiedlichen Container-Zielsystemen einzusetzen.“

„Linux ist echtzeitfähig“

Bei Siemens legt man Wert auf die Nutzung moderner IT-Technologie, die man für die Nutzung in der OT-Welt härte, wie Siemens-Mann Roland Melzer berichtet. „Zum Beispiel ist die Basis für unser Industrial Edge System ein von uns speziell gehärtetes Linux-System mit einer Standard-Container-Technologie.“

Aber kann Linux wirklich Echtzeit? Ja, sagt Benjamin Homuth: „Linux hat sich als Betriebssystem in der Automatisierung etabliert. Die in der Vergangenheit gehegten Zweifel an der Echtzeitfähigkeit des Systems sind schon seit Jahren widerlegt und nur die Flexibilität von Linux lässt eine Offenheit auf allen Ebenen zu.“

OPC UA und Open Source

Für Christian Gabriel von Keba spricht für Linux nicht nur, dass damit viele Vorteile aus der IT-Welt übernommen werden können, sondern auch, dass eben die zugehörige Opensource Community entsprechend groß ist. „Dadurch wird die Time to Market optimiert.“ Und nicht nur Linux hat sich aus Sicht von Jens Kotlarski bewährt: „Bei OPC UA ist es ähnlich: Freie Implementierungen vereinfachen die Verwendung von OPC UA massiv und unterstützen die einfache und schnelle Kommunikation sowie Interaktion weiterführend.“

Das bedeute aber nicht, dass zukünftig jede Automatisierungs-Software auch quelloffen sein muss, ergänzt Marco Henkel, Vice President Technology Management bei Wago: „Die Offenheit einer Plattform muss nicht zwingend mit der Offenheit des Quellcodes einhergehen, auch Closed-Source-Software kann und wird einen wesentlichen Beitrag zu erfolgreichen offenen Plattformen leisten.“

Und das ist aus Sicht von Jens Kotlarski sogar wichtig. „Irgendjemand hat am Ende die Verantwortung zu tragen, damit das Ganze auch unter den strengen Anforderungen des Produktivbetriebes robust funktioniert.“ Opensource können auch schnell „zumüllen“, wenn sich niemand drum kümmert.

Auswirkungen auf das Engineering

Was bedeutet dieser Trend zu IT-Konzepten und IT-Sprachen nun für das Engineering und die Automatisierer? Jens Kotlarski geht davon aus, dass sich die Entwicklung von Automatisierungslösungen nachhaltig verändert: „Die Verwendung von Hochsprachen erlaubt es, Praktiken moderner Softwareentwicklung einzusetzen. So können Applikationen besser gekapselt, Teile in Bibliotheken ausgelagert und wiederverwendet werden.“

Wird der Automatisierer also über kurz oder lang vom IT-Spezialisten „ersetzt“? Laut den Experten eher nicht. Benjamin Homuth von Phoenix-Contact, bringt es auf den Punkt: „Es ist nicht die Frage, wer wen ersetzt, sondern wie beide Seiten voneinander lernen können, um das Beste aus beiden Welten miteinander zu kombinieren.“ Es werde daher eher auf ein „Ergänzen“ des Know-hows hinauslaufen: „Zumal wir da nicht auf der grünen Wiese starten. Wir sprechen hier über einen längeren Entwicklungsprozess, bei dem erstmal etwas zusammenwachsen muss.“

Ende der IEC 61131–3?

Daher wird auch die klassische Steuerungsprogrammierung nach IEC 61131–3 zumindest kurzfristig nicht verschwinden, ergänzt Dirk Volkening von Wago: „Einen Trend, dass die IEC 61131–3-Welt wegfällt, können wir nicht feststellen, eher dass OT und IT in Automatisierungsprojekten enger zusammenarbeiten, um für das jeweilige Projekt die besten Möglichkeiten auszuloten.“ Auch Siemens sieht kein „entweder IT oder OT“. Vielmehr kombiniere man ja gerade IT und OT und unterstütze weiterhin IEC 61131, aber gleichzeitig auch die Programmierung in anderen IT-orientierten Sprachen und nutze gleichzeitig die Power von IT-Systemen, so Roland Melzer.

Die klassische Automations-Programmierung dürfte aber dennoch neue Impulse erhalten. Jens Kotlarski: „Man wird feststellen, dass die klassische Steuerungsprogrammierung ineffizient und teuer ist – auch weil die Möglichkeiten der modernen Software-Entwicklung derzeit nicht anwendbar sind und die Anzahl an verfügbaren Experten limitiert ist. Daher wird man sich auch in der Automatisierung mehr und mehr auf moderne Plattformen konzentrieren.“

Keba-Mann Christian Gabriel erwartet mit Blick auf generative KI wie ChatGPT sogar noch weitergehende Auswirkungen: „Der Automatisierer wird zwar nicht ersetzt, aber eventuell ändert sich seine Programmiersprache: jedoch nicht in Richtung klassische Programmiersprachen, sondern auf seine Muttersprache, da KI-Technologien künftig die Übersetzung vornehmen und somit unabhängig von der Programmiersprache“.

Winner takes it all! Oder doch nicht?

Abzuwarten bleibt auch, was der potenzielle Siegeszug der Plattformen für den Markt bedeutet. Denn in der Plattformökonomie gilt zumeist das „The winner takes it all“. Wenn viele sich an einer Plattform beteiligen, wird diese durch Netzwerkeffekte dominant. Android ist dafür ein gutes Beispiel: Musste sich das Open Source OS zu Beginn noch den Smartphone-Markt mit Symbian, Blackberry oder Windows Phone teilen, steht Android nun seit Jahren bei über 80 Prozent Marktanteil allein neben Apples iOS.

Was passiert in der Automation? Wird es nach den Feldbus-Kriegen nun einen Kampf der Plattformen geben? Vermutlich wird es auf absehbare Zeit ein Mit- und Nebeneinander geben, zumal selbst Platzhirsche wie Siemens inzwischen Offenheit predigen. Roland Melzer: „Mit Industrial Operations X bieten wir Offenheit in allen Dimensionen. Wir öffnen die Plattform für andere Anbieter, unterstützen dabei offene Standards und treiben diese voran. Wir sehen die Interoperabilität über verschiedene Anbieter als entscheidend, um die Industrie einen erheblichen Schritt weiter voranzubringen.“ Es gehe daher auf keinen Fall um ein „The winner takes it all“, sondern um „Win-Win Konstellationen für alle Teilnehmer des industriellen Ökosystems“.

Ein „The winner takes it all“ ist aus Sicht von Werner Paulin auch deshalb nicht in Sicht, weil im Maschinenbau sowohl die Hardware-Topologie als auch die Datenströme je nach Branche und Maschinentyp und Hersteller unterschiedlich sind: „Der Markt ist also heterogener als etwa bei Smartphones und es wird nicht nur eine einzige Plattform geben.“

Diese Einschätzung teilt Weidmüllers Martin Flöer: „Ich gehe nicht davon aus, dass sich in der Automatisierung analog zur Smartphone-Welt nur ein oder zwei Plattformen durchsetzen werden: „Dafür ist die Industrie viel zu heterogen und mannigfaltig.“

Daher müsse der Weg der Offenheit konsequent weitergedacht werden, ergänzt Lenzes Werner Paulin: „Angelehnt an Startrek sehen wir die ‚United Federation of Platforms‘ als ideal für den Kunden an, um Technologien quer über verschiedene Plattformen zu kombinieren.“

Android der Automation?

Aber natürlich ist die Automation trotzdem ein Markt, der von Wettbewerb lebt und nicht von Friede-Freude-Plattform-Eierkuchen. „Wer es schafft, das umfangreichste und einfachste Ecosystem anzubieten, wird gegenüber der Konkurrenz klar im Vorteil sein und das Rennen am Ende machen“, prognostiziert Kukas-Ökosystem-Experte Björn Märtens. Und so erwartet auch Dirk Volkening von Wago, dass sich am Markt künftig nur einige wenige Plattformen durchsetzen werden: „Eine Marktdominanz im Sinne von ‚The winner takes it all‘ erwarten wir zwar nicht, aber ein ‚Survival of the fittest‘ hingegen schon.“

Wird es am Ende also doch eine Art Android der Automation geben? „Technologisch ist ein Android der Automatisierung heute schon möglich“, findet Voraus-CEO Jens Kotlarski und verspricht sich dadurch jede Menge Technologieverbesserung bei gleichzeitiger Kostenreduktion. „Robotik und Automation werden dann einen nie dagewesenen Boom in vielen Bereichen erleben.“

Besonders gut aufgestellt sieht sich hier Bosch Rexroth: „Mit ctrlX OS wollen wir einen neuen Standard für den Markt schaffen“, betont Thomas Maag. „Die Entwicklung eines Androids der Automation ist mit ctrlX OS durchaus realisierbar, zumal das Linux-basierte System nicht nur das modernste, offenste und sicherste Betriebssystem in der Automatisierungstechnik ist, sondern auch einen Softwarestack von der Feldebene bis in die Cloud bietet.“ Wago hat Rexroth bereits überzeugt, denn ctrlX OS läuft nicht nur auf Rexroth-Hardware sondern auch auf Wago-Hardware, und damit auch die Apps aus der ctrlX World.

Das Rennen ist eröffnet

Aber auch andere Anbieter scharen Partner um sich, um ihre Version eines „Androids der Automation“ am Markt zu etablieren. So hat Phoenix Contact eine Technologiepartnerschaft mit dem Robotik-Spezialisten Yaskawa geschlossen und will seine PLCnext Technology auch anderen Automatisierungsunternehmen zur Verfügung stellen. „Der Einsatz auf verschiedenen Hardware-Plattformen unterschiedlicher Hersteller kommt den Anwendern zugute, indem diese zum Beispiel Apps aus dem PLCnext Store ebenfalls auf der Hardware weiterer Hersteller verwenden können“, betont Benjamin Homuth.

Dennoch: Direkt vor der Tür scheint ein ‚Android der Automation‘ nicht gerade zu stehen. So ist Christian Gabriel von Keba zwar überzeugt, dass der Trend stark in Richtung eines ‚Android der Automation‘ gehe, „jedoch wird das eher ein mittelfristiges Thema sein. Durch die Anzahl der Mitspieler in der Wertschöpfungskette ist die Komplexität hoch. Es gibt einfach in der Automatisierung viel mehr Beitragende als bei einem Mobiltelefon.“ Man darf gespannt sein, wie lange es dauert – der Startschuss ist zumindest gefallen.


Automations-Plattformen im Überblick

Kuka: Robotic Republic

Kukas Ecosystem Robotic Republic vereint kompatible Hard- und Software-Komponenten sowie fertige Lösungen, aus dem sich Kunden individuelle und kompatible Pakete zusammenstellen können. Die Ecosystem-Partner unterstützt Kuka mit Schnittstellen sowie Entwicklungstools.

Aktuell beschränkt sich die Robotic Republic auf Angebote rund um die Kuka Cobots und die Software iiQKA.OS. Geplant ist eine Erweiterung der Plattform für die Kuka.SystemSoftware KSS, die das Steuerungsherzstück des restlichen Roboterportfolios ist. Auch die Harmonisierung der Robotic Republic mit anderen Ökosystemen ist geplant oder wie bei Bosch Rexroths ctrlX World bereits umgesetzt.

Voraus Robotik: voraus.core

Voraus Robotik bietet mit der Software voraus.core einen Hardware-agnostisches Middleware-Layer für Industrieroboter, der auf einem eigens entwickelten Echtzeit-Betriebssystem aufsetzt. Zum Angebot gehört zudem eine offene Plattform für Entwicklung Ausführung und Monitoring von automatisierten Produktionsanlagen. Dazu gehört auch eine Python-basierte Entwicklungsumgebung und eine grafische Bedienoberfläche. Ursprung von Voraus ist die Robotik. Daher ist man in der Lage sehr tief in die Echtzeitebene zu gehen und damit auch die (Echtzeit-) Ausführung sicherzustellen.

Wandelbots: roboter-agnostische Plattform

Wandelbots entwickelt eine Roboter-agnostische Software-Plattform, mit der Unternehmen ihre Automatisierungsumgebung virtualisieren und simulieren sowie eigene Robot-Apps erstellen können. Der Produktname der Plattform, die auch IT-Software Entwicklern einbindet, wird in der zweiten Jahreshälfte 2024 veröffentlicht. Die Wandelbots Plattform nutzt die Prinzipien moderner Softwareentwicklung und stellt den Nutzer in den Mittelpunkt: etwa durch Benutzeroberflächen, die einfach und intuitive bedienbar sind, oder über eine nahtlose Hardware-Integration durch ein agnostisches Treibersystem.

Keba: Kemro X

Mit Standards aus der IT hat Keba die modulare und Linux-basierte Plattform Kemro X entwickelt. Der Kunde muss nur die Module installieren, die er für seine Anforderungen benötigt beziehungsweise die für seine Anwendung am besten passen. Diese Module können von Keba stammen, aber auch aus der Linux-Welt kommen oder von Drittherstellern oder vom Kunden.

Schwerpunkte setzt Keba bei Echtzeit, Regelungstechnik sowie Stabilität und profitiert dabei von den langjährigen Erfahrungen in Sachen Robotik, CNC-Kern, Regelungstechnik, Visualisierung und Safety. Kebas Plattform-Konzept punket mit tiefem Anwendungs- und Prozesswissen in einzelnen Branchen.

Bosch Rexroth: ctrlX Automation

Mit einem echtzeitfähigen Betriebssystem Linux, offenen Standards, App-Programmiertechnologie, webbasiertem Engineering und einer umfassenden IoT-Verbindung soll Bosch Rexroths Automatisierungsplattform ctrlX Automation die Grenzen zwischen Maschinensteuerung, IT-Welt und Internet der Dinge überwinden

Das echtzeitfähige, Linux-basierte Betriebssystem ctrlX OS ist für den Real-Time-Einsatz in der Feldebene bis in die Cloud einsetzbar. Es läuft nicht nur auf der eigenen Steuerung ctrlX Core, sondern steht als eigenständige Lösung für industrielle Umgebungen zur Verfügung. Wago nutzt die Software bereits.

Phoenix Contact: PLCnext

PLCnext Technology nennt Phoenix Contact sein offenes Ökosystem für die Automatisierung. Basis dafür ist das Linux-basierte PLCnext Runtime-System, mit dem Software-Komponenten in verschiedenen Programmiersprachen entweder direkt auf dem Betriebssystem installiert, als App verpackt und/oder als Container in das PLCnext Runtime-System integriert werden können. Ein Global Data Space (GDS) sorgt für die Vernetzung der Komponenten untereinander. Auch die Security hat Phoenix Contact für sein offenes System von Anfang an mitgedacht und TÜV zertifizierte Security implementiert. Für sein PLCnext hat Phoenix Contact unter andere Yaskawa als Partner gewonnen.

Lenze Nupano

Lenzes Open Automation Platform Nupano nutzt offene IT-Standards und standardisierte Programmiersprachen. Nupano ist eng mit dem Maschinenpark des Kunden verbunden und unterstützt Maschinenbauer, die sich durch digitale Services differenzieren wollen. Alle Maschinen werden zentral in der Nupano-Cloud verwaltet. Jede Maschine kann individuell mit neuen App-Versionen ausgestattet werden.

Die Plattform ermöglicht die Integration von IT-Software und bietet Raum für Co-Creation, Anwendungen können gemeinsam getestet werden. Der Management-Teil läuft als Software as a Service in der Cloud, die Nupano Runtime läuft Linux-Anwendung auf jedem Industrie-PC.

Weidmüller u-OS

Weidmüllers Plattform u-OS ist ein Linux basierendes Betriebssystem für die Edge und Steuerungsebene, das auf Container-Technologie basiert und sowohl auf den Weidmüller Geräten der u-control Familie läuft als auch auf Fremdsystemen. Daneben bietet Weidmüller die Cloudplattform Easyconnect, mit der man Geräteflotten betreiben und Daten managen kann.

Mit u-OS will Weidmüller kein eigenständiges Ökosystem schaffen, sondern bestehende Ökosysteme verknüpfen. Differenzierungsmerkmal ist laut Weidmüller eine exzellente, industriefähige Hardware, die mit rauen Umgebungen zurechtkommen und die Anforderungen in Richtung Langzeitverfügbarkeit erfüllen muss.

Siemens Xcelerator

Mit Xcelerator bietet Siemens ein offenes Ökosystem für interoperable Software und Hardware. Dabei umfasst Xcelerator auch hauseigene Lösungen wie das Siemens-Portfolio für Produktion und Automatisierung Industrial Operations X.

Zu Industrial Operations X gehört etwa das Industrial Edge System, das auf einem gehärteten Linux-System und einer Standard-Container-Technologie basiert. Zum Portfolio gehört auch aber die virtuelle PLC Simatic S7 1500 für die Software-defined Automation oder der Industrial Information Hub (IIH) für die datengetriebene Produktion.

Wago Linux-basierte Steuerungsplattform

Wagos Steuerungsplattform basiert seit jeher auf einem echtzeitfähigen Linux-Betriebssystem. Darüber hinaus integriert Wago als Technologie-Partner auch Bosch Rexroths ctrlX OS auf ausgewählten Steuerungen, sodass Anwender von den Apps der ctrlX World profitieren können. Dabei verspricht Wago „True Openness“ und betont, die Offenheit von der untersten Schicht herauszudenken. Kunden können die für den Bedarfsfall richtige Plattform und das zur Aufgabenstellung passende Angebot zu wählen.

 


Mehr zum Thema Industrie 4.0
Unsere Webinar-Empfehlung
Aktuelle Ausgabe
Titelbild Automationspraxis 2
Ausgabe
2.2024
LESEN
ABO
Medienpartnerschaft RBTX.com

Informationen und konkrete Lösungen für die Low-Cost-Automation finden Sie auf dem Lean-Robotix-Marktplatz RBTX.com.

Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Kalender

Aktuelle Termine für die Automatisierungsbranche

Whitepaper

Whitepaper aller unserer Industrieseiten

Alle Webinare & Webcasts

Webinare aller unserer Industrieseiten


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de