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Wo stehen die deutschen Robotik-Start-ups?

Branchenexperten fordern mehr Kooperation
Wo stehen die deutschen Robotik-Start-ups?

Die „jungen Wilden der Robotik“, darunter auch viele deutsche Newcomer, haben in den letzten Jahren für viel Furore gesorgt. Wo stehen die deutschen Robotik-Start-ups heute? Und wie geht es weiter? Branchenkenner fordern mehr Kooperation und mehr Kundennähe ein.

Autor: Armin Barnitzke

Die fetten Jahre für die deutschen Robotik-Start-ups scheinen erstmal vorbei zu sein. Zumindest wenn es um das Thema Venture Capital geht. Während im Laufe des Jahres 2021 und auch Anfang 2022 noch zum Teil spektakuläre Finanzierungsrunden verkündet wurden (220 Mio. US-Dollar für Agile Robots, 86 Mio. für Neura Robotics, 84 Mio. für Wandelbots, 30 Mio. für Micropsi), wurde es 2022 merklich ruhiger.

Erst zum Jahresende konnten sich Fruitcore Robotics (23 Mio. Euro) und RobCo (13 Mio. Euro) über größere Mengen frisches Kapital freuen. „Früher musste man auf die Klingel nur irgendwas mit Robotik drauf schreiben und schon haben die Finanzierer Geldumschläge in den Briefkasten hineingestopft – das ist nun vorbei“, bringt dies ein Branchenkenner auf den Punkt. Kein Wunder: Angesichts der schwierigen Weltwirtschaft ist die Zeit schneller Finanzierungsrunden generell vorbei – die Risikokapitalgeber agieren wählerischer, die Venture-Capital-Stimmung hat sich abgekühlt.

Generell haben es deutsche Start-ups im internationalen Vergleich zudem meist schwerer als Newcomer aus USA oder China, verweist Helmut Schmid, Vorstand des deutschen Robotik Verbands (DRV) auf die Finanzier-Freudigkeit der hiesigen Investoren: „Wenn wir in Deutschland eine Finanzierungsrunde mit einer Million Euro auflegen, hängen Investoren in den USA und China immer eine Null mehr dran.“ Dies könne für Start-ups aus USA und China durchaus Wettbewerbsvorteile wie ein schnelleres Go-to-Market bedeuten.

Dennoch könne man in Deutschland der Spendierlaune der amerikanischen und chinesischen Investoren und deren Venture Capital etwas entgegensetzen, ergänzt DRV-Co-Vorstand Olaf Gehrels und verweist auf die die RAG-Stiftung, die hinter der Hahn Group und dem Servicerobotik-Newcomer United Robotics Group steht: „Die Aktivitäten der RAG-Stiftung sind beispielgebend. Da werden nicht nur Start-ups gefördert, sondern auch Integratoren unter einem Dach kombiniert.“

Und immerhin: „Dass Sequoia, einer der besten VCs der Welt, bei Robco eine frühe Investmentrunde in der deutschen Robotik gemacht hat, ist ein absoluter Ritterschlag und ein Zeichen, dass große VCs die die große Opportunität in der Robotik erkannt haben“, ergänzt Investor Georg Stockinger vom Berliner VC Squareone. Er sieht den den Trend daher trotzdem weiter sehr positiv: „Fachkräftemangel, Reshoring, Kostendruck und so weiter: viele Makrotrends zeigen in die richtige Richtung und das wird noch lange so bleiben.“

Junge Wilde werden erwachsen

Obwohl – oder weil – die Venture-Capital-Aufbruchsstimmung gerade etwas eingetrübt ist, werden die jungen Wilden nun erwachsen und machen sich auf den Weg in die Praxis. So hat RobCo eine strategische Partnerschaft mit dem Maschinenbauer FMB geschlossen. Die Faulbacher nutzen die flexiblen und offenen Robotik-Module aus München als Basis für ihre neuen modularen Roboterzellen FMBase.

Wandelbots wiederum hat (nach Universal Robots) mit Yaskawa und Fanuc die beiden weltweit größten Industrieroboter-Hersteller als Partner für ihre einfache Robot-Teaching-Lösung gewonnen. „Für Wandelbots hat Fanuc auch deshalb eine besondere Relevanz, da wir verstärkt in den US-Markt eintreten, wo Fanuc weitverbreitet ist“, sagt Bernd Heinrichs, Co-CEO von Wandelbots.

Die KI-Software Mirai von Micropsi Industries ist neben Universal Robots nun ebenfalls mit Robotern von Fanuc kompatibel. „Mit den KI-Fähigkeiten von Mirai kann jeder Fanuc-Roboter in kürzester Zeit verblüffend intelligente und flexible Automationslösungen realisieren. Mit noch nie dagewesener Leichtigkeit“, schwärmt Fanuc-Deutschland-Verkaufschef Jörg Winter.

Zusammenarbeit müsste enger sein

Junge Wilde und Robotik-Establishment kommen also durchaus miteinander klar. Dennoch beobachtet DRV-Vorstand Olaf Gehrels, dass sich viele deutsche Start-ups noch schwertun, am Markt Fuß zu fassen. „Die Zusammenarbeit zwischen Startups und Industrieunternehmen müsste enger sein, um gemeinsam schneller und mit besseren Lösungen am Markt präsent zu sein. Hier zeigt sich leider ein fehlendes Verständnis für Zusammenarbeit, was auch an unterschiedlicher Kultur und Geschwindigkeit auf beiden Seiten liegt.“

Beim DRV ist man aber definitiv von den Technologien der deutschen Start-ups überzeugt, betont Gehrels. Denn es seien eben diese Newcomer, und nicht die etablierten Player, die New-Robotics-Trends wie No-Code-Robotik und KI-Robotik oder eine bessere Kundenzentrierung vorantreiben. Gehrels: „Sie zeigen, wie die Robotik zu einem attraktiven, modernen und profitablen Werkzeug der Produktion der KMU werden können.“

Für einen Erfolg in der Breite müsste es aber nicht nur zwischen Start-ups und Industriegrößen, sondern auch unter den Start-ups mehr Zusammenarbeit geben, sagt Bernd Heinrichs, Co-CEO Wandelbots: „Leider läuft es in der Robotikwelt immer noch ähnlich wie in der Automobilwelt: Es gibt zwar tolle Player, aber jeder kocht sein eigenes Süppchen und es gibt keine Kooperation untereinander.“

Robotik-Ökosystem aufbauen

Als langjähriger Cisco Deutschland Manager kennt Heinrichs die IT-Welt und weiß, dass es auch anders geht: „Wenn wir diese Schranken aufbrechen, dann kann die Robotik in Deutschland eine noch wichtigere Rolle spielen – mit all ihren positiven Auswirkungen für den Menschen und den Wirtschaftsstandort Deutschland. Daher unterstützen wir bei Wandelbots mit Vehemenz den Ansatz eines deutschen Robotik-Ökosystems und haben unter anderem das Robotik Festival mitinitiiert.“

Denn: Deutschland habe mit seinen 50 bis 60 prominenten Start-ups im Robotik-Umfeld zwar einiges zu bieten. Das dänische Odense sei aber noch stärker positioniert, ergänzt Heinrichs. „In Dänemark sind wir eben einfach besser in der Kooperation untereinander“, bestätigt der dänische Robotik-Kenner Enrico Krog Iversen, der einst Universal Robots groß gemacht hat und nun als CEO von Onrobot den nächsten Cobot-Player aufbaut. „Wir sind in Dänemark nur knapp 6 Millionen Einwohner, da sind die Drähte kürzer – in die Politik aber auch in die Wirtschaft.“

Ein Beispiel: Zusammen mit dem langjährigen UR-Mitstreiter Thomas Visti und anderen Robotikpionieren sowie großen dänischen Unternehmen wie Grundfos hat Iversen kürzlich den Odense Robotics Startup Fonds ins Leben gerufen. „Dieser Fond soll über die nächsten 6 Jahre rund 30 early-stage Robotics Start-ups fördern.“

Ein deutsches Odense?

Kann und muss Odense also das leuchtende Vorbild für die deutsche Robotik sein? DRV-Vorstand Schmid ist skeptisch: „Für ein deutsches Odense ist unser Land zu groß. Wir werden auf absehbare Zeit eine vielfältige Robotik-Landschaft mit mehreren Zentren haben.“ Allerdings sollten sich die deutschen Cluster in München, Sachsen, Baden-Württemberg und anderswo besser gegenseitig befruchten, anstatt sich im Wettbewerb zu beharken. „Das wäre falsch und schade. Zumal es in der Robotik derart viel zu tun gibt, dass man sich nicht auf jedem Gebiet Konkurrenz machen muss.“

Micropsi-Gründer Ronnie Vuine verweist beim Thema „Vorbild Odense“ zudem darauf, dass Odense ohne den Erfolg von Universal Robots kaum ein ernstzunehmendes Cluster geworden wäre. „Man kann den Effekt von erfolgreichen Exits für Startup-Ökosysteme gar nicht genug betonen: Erfolgreich verkaufte Startups bringen Geld in die richtigen Hände, erzeugen eine neue Generation besserer Unternehmen, und halten erfahrenes Start-up-Management am Standort.“ Sein Fazit: „Wir brauchen definitiv einen Robotik-Cluster – aber bitte keine planwirtschaftliche Heißluftblase, sondern einen Cluster, der um ein erfolgreiches Unternehmen herum entsteht.“

Mehr Kundenorientierung gefordert

Eine weitere Herausforderung für die deutsche Robotik-Szene ist die Praxis- und Lösungsorientierung. Zwar sind die deutschen Robotik-Start-ups aus Sicht von DRV-Vorstand Schmid technologisch gesehen sehr gut positioniert. „Aber die viele tollen Ingenieure in Deutschland denken oft zu technisch. In Deutschland geht es oft mehr ums Feature Selling und nicht ums Value Selling“, beobachtet der Däne Krog Iversen. Das bestätigt Gehrels: „Bei uns liegt der Fokus eher auf der technologischen Ausrichtung, während Start-ups in den USA auf das Execution Game, also die Umsetzung am Markt, fokussiert sind.“

So ähnlich sieht das auch Andrea Alboni, Westeuropachef von Universal Robots: „Wir haben in Deutschland sehr lebendige Ökosysteme – die Verbindung von Forschung und Wirtschaft war und ist die Stärke von Deutschland. Aber die tollen Konzepte aus der Forschung müssen sich früher oder später am Markt beweisen: Lassen sie sich in der Praxis umsetzen? Und vor allem: Lösen sie die Probleme der Endkunden?“

Für den Markterfolg sei es aber nicht entscheidend, ob die Start-ups Ausgründungen aus der Universitäts-Landschaft sind oder aus anderen Bereichen kommen, wie DRV-Vorstand Schmid einräumt: „Für alle Arten von Start-ups gibt es gute und weniger gute Beispiele. Es gibt erfolgreiche Jungunternehmer ebenso wie Gründungen von alten Hasen, selbstständige Ausgründungen ebenso wie Kooperationen mit etablierten Unternehmen.“ Agile Robots, Robco und Fruitcore Robotics seien Beispiele für erfolgreiche Ausgründungen von Forschungsinstituten und Universitäten, wohingegen Noyes, Coboworx, Isochronic, Innok Robotics, Idealworks und Agilox von erfahrenen Experten gegründet wurden. „Die Frage, die sich eher stellt, ist eben, wie kundennah sind die neu entwickelten Lösungen?“

Auf zu ganz neuen Märkten

Das Ende der Fahnenstange in Sachen Robotik-Start-ups dürfte noch lange nicht erreicht sein. Denn neben heute bereits starken Technologie-Trends wie Cobots und mobile Robotik sieht DRV-Vorstand Olaf Gehrels eine Reihe weiterer interessanter Entwicklungsansätze, „die alle auf ihre Art Chancen haben, wenn sie die praktische Nutzbarkeit nicht aus den Augen verlieren.“ Die kognitive Robotik, wie sie Neura Robotics propagiert, sei ein Beispiel. Die Low-Cost-Robotik von Igus ein weiteres. „Zudem werden wohl gerade in der Servicerobotik Themen wie Sprach- und Gestensteuerung gefragt sein. Und man darf gespannt sein, wie sich die Idee durchsetzt, komplette Anwendungen über Apps zu betreiben. Wie praxisgerecht die Idee ist, Anwendungen aus einem Appstore laden, um DIY-Robotik zu realisieren, wird sich zeigen.“

Die DRV-Macher rechnen daher damit, dass wir auch zukünftig noch einige neue Robotik-Start-ups sehen und erleben werden: „Insbesondere in den Segmenten Bauen und Landwirtschaft sowie in der Logistik und in der Servicerobotik liegen große Wachstumschancen. Denn hier ist der Handlungsbedarf am größten und die Automatisierung überwiegend noch auf einem niedrigen Level“, sagt Schmid. Eine Hürde werden die Start-ups hier aber nehmen müssen: „Der Stallgeruch auf der Baustelle oder in der Landwirtschaft ist ein anderer als im Maschinenbau. Eine Lösung könnte sein, dass sich Start-ups mit etablierten Unternehmen aus den jeweiligen Branchen zusammentun.“ Auch hier also wieder: Gemeinsam ist man einfach stärker.


Politik ist gefordert

Um die deutsche Robotik-Szene zu stärken, sieht der Deutsche Robotik Verband auch die Politik gefordert: „Die Robotik muss beispielsweise in Berufsbilder einbezogen werden und zwar fest verankert in Lehrplänen“, sagt DRV-Vorstand Olaf Gehrels. Einzelne Initiativen seien zwar lobenswert, aber längst nicht ausreichend. Darüber hinaus fordert der Robotikverband, Investitionen in die Robotik und Automation zur fördern, ergänzt DRV-Vorstand Helmut Schmid. „In den USA beispielsweise gibt es 100%ige Sonderabschreibungen für Investitionen in Robotik und Automation, um das Problem des Personalmangels zu lösen – bis zu einem Invest von einer Million Dollar.“

Auch Investor Georg Stockinger von Squareone findet, dass die Politik viel mehr machen könnte: „Förderungen sind noch immer zäh und kaum vorhanden. Aber auch ohne Fördergelder wird es klappen.“ Als weiteren Hemmschuh sieht er die komplexen Zulassungs-, Sicherheits- und Tertifizierungsprozesse in Deutschland. „Da haben es andere Länder einfach leichter.“


Ausgewählte deutsche Robotik-Start-ups im Überblick

 

Einfache Programmierung

Artiminds (Karlsruhe)

Dragandbot (Stuttgart)

Wandelbots (Dresden)

Roboter / Cobots

Coboworx (Osann-Monzel)

Franka Emika (München)

Fruitcore Robotocs (Konstanz)

Neura Robotics (Metzingen)

Rethink Robotics (Bochum)

RobCo (München)

Greifer

Formhand (Braunschweig)

Innocise (Saarbrücken)

Mobile Robotik

Node Robotics (Stuttgart)

Mojin Robotics (Stuttgart)

Magazino (München)

Robotise (München)

Motion

Synapticon (Schönaich)

KI & Robotik

Agile Robots (München)

Gestalt Robotics (Berlin)

Micropsi (Berlin)

Voraus Robotik Yuanda Robotics (Hannover)

Software & Vision

Mech Mind (München, Peking)

Robominds (München)

Robotcloud (München)

Roboception (München)

Marktplätze

Andugo.io (Wang)

RBTX (Köln)

Unchained Robotics (Paderborn)

Waku Robotics (Berlin)

Xito (Ulm)


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