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Sorgt Corona für mehr Produktion in Deutschland?

Robotik und Automation nach der Krise
Sorgt Corona für mehr Produktion in Deutschland?

Sorgt Corona für mehr Produktion in Deutschland?
Derzeit legt die Corona-Pandemie viele Produktionen und Lieferketten lahm. Aber was sind die mittelfristigen Folgen? Wird nach der Krise mehr automatisiert? Bild: Adobe Stock
Die Corona-Krise hat die deutsche Wirtschaft fest im Griff. Doch was passiert nach dem großen Shutdown? Gewinnt der Produktionsstandort Deutschland wieder an Bedeutung? Haben Robotik und Automation dann noch mehr Konjunktur? Wir haben uns umgehört.

Autor: Armin Barnitzke

Klar: Eine Automation der Produktion hilft nicht nur den Fertigungs-Output und die Produktqualität zu erhöhen, sondern macht auch unabhängiger von Krankheitsausfällen. So kann der Robotik- und CNC-Spezialist Fanuc seine Kunden beruhigen: „Durch die sehr hohe Automatisierung in unserer eigenen Fertigung läuft die Produktion ununterbrochen weiter.“ Kein Wunder: In Fanucs Zentrale in Japan bauen Roboter buchstäblich Roboter.

Auch andere Produktionen setzen in Zeiten von Corona verstärkt auf Automatisierung. So reagiert der Anbieter von Antriebs- und Fluidtechnik IMI Precision Engineering auf die steigende Nachfrage nach seinen Proportionalventilen, die eminent wichtig für Beatmungsgeräte sind, mit der Erweiterung seiner Produktionskapazitäten in der Schweiz. IMI hat seine halbautomatische Produktionslinie voll automatisiert, die Fertigung erfolgt nun rund um die Uhr im Drei-Schicht-Betrieb.

Logistik im Fokus

Und nicht die Produktion von lebenswichtigen Gütern wird derzeit hochgefahren, auch Logistik und Lieferketten sind ein großes Thema. „Dass Waren schnell verfügbar sein müssen, zählt in diesen Tagen zu den Top-Themen und stellt die Logistik vor große Herausforderungen“, sagt Dr. Christian Baur, CEO beim Logisik-Automationsspezialisten Swisslog. „Wir sind vor allem gefragt, unsere Kunden aus den Bereichen Lebensmittel und Pharma dabei zu unterstützen, ihre Lieferketten aufrechtzuerhalten. So leisten wir einen Beitrag, den Nachschub von Artikeln zu gewährleisten.“

Und natürlich spielen auch Online-Kanäle aktuell eine wichtige Rolle. „Hier ist eine gesteigerte Nachfrage im E-Commerce möglich“, sagt Baur. Diese steigende Nachfrage werde auch in der Zeit „nach Corona“ anhalten, ist Peter Mohnen, CEO des Swisslog-Mutterkonzerns Kuka überzeugt: „Derzeit hat die Corona-Pandemie die Welt zwar fest im Griff und wir spüren die Auswirkungen, wie viele andere Unternehmen auch.“ In der Zeit nach Corona werde Kuka aber profitieren, vor allem von seinem Fokus auf die Bereiche Logistik, Automation und Healthcare.

Erhöhte Nachfrage nach der Krise

„Nach den meisten Krisen der letzten Jahre gab es anschließend einen großen Anstieg der Produktion und damit auch erhöhte Nachfrage bei Robotik und Automation“, berichtet Ralf Winkelmann, Geschäftsführer der Fanuc Deutschland. „Wir rüsten uns für diese Nachfrage und bereiten uns entsprechend darauf vor.“

Ganz aktuell wirke sich das aber noch nicht aus: „Sicherlich gibt es zwar einige Branchen wie Verpackung, Medizin oder Food, die eine erhöhte Nachfrage zu bearbeiten haben. Allerdings werden hier nicht so kurzfristig neue Maschinen oder Automatisierungslösungen eingesetzt werden können, weil die Unternehmen am Rande ihrer Kapazitätsgrenzen arbeiten und zusätzliche Projekte aufgrund der aktuellen Gesamtsituation kaum zu stemmen sind“, so Winkelmann. Eventuell werde man aber in den kommenden Monaten einen positiven Effekt sehen.

Renaissance des Standorts Europa

Auch Dr.-Ing. Werner Kraus, Leiter der Abteilung Roboter- und Assistenzsysteme am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, hält Nachholbedarfe bei Investitionen in Produktionsautomation für wahrscheinlich. „Allerdings sind die Vorlaufzeiten von Automatisierungsprojekten zu lang, als dass die Kapazitäten rechtzeitig für aktuelle Anforderungen bereitstünden.“ Zugleich vermutet Kraus, dass es Zeit braucht, bis wieder richtig investiert wird: „Wenn nach Corona alles wieder zum Alltag zurückkehrt, werden sich sicher viele Unternehmen Gedanken machen, wie sie durch die Krise gekommen sind und wo es gehakt hat.“

Wahrscheinlich gebe es dann viele individuelle, kleinere Verbesserungen umzusetzen. Revolutionäre Veränderungen werde die Corona-Krise wohl keine auslösen. Allerdings erwartet Kraus, dass der Ausbruch der Corona-Pandemie künftig bei der Wahl von Lieferketten oder Standortentscheidungen eine Rolle spielen werde.

Fanucs Winkelmann rechnet damit, dass die Bedeutung des Produktionsstandortes Deutschland und Europa wieder zunehmen werde: „Durch die Corona-Krise und die damit einhergehende Behinderung des Waren- und Lieferverkehrs – vor allem aus China – könnte es eine Rückbesinnung auf die Vorteile einer lokalen Produktion geben. Davon würde die Robotik und Automation natürlich profitieren, weil Produktionsanlagen in Deutschland deutlich stärker automatisiert werden müssen als in vielen anderen Ländern.“

Kurze Wege werden wichtig

Denn selbst eine komplett autonome Produktion nutze nur wenig, wenn Teile in der Fertigung fehlen, ergänzt Winkelmann. Eine gewisse Widerstandsfähigkeit gegenüber Pandemien wie Corona erreiche man daher vermutlich am ehesten dadurch, dass man seine Lieferketten optimiert, so Winkelmann: Fanuc setze daher nicht nur auf die eigene, hoch automatisierte Produktion mit einer hohen Fertigungstiefe, sondern arbeitet zusätzlich fast ausschließlich mit lokalen, japanischen Zulieferern zusammen. „Das bedeutet: Die Wege sind sehr kurz.“

Auch Peter Pühringer, Geschäftsführer bei Stäubli Robotics in Bayreuth, erwartet eine Entflechtung der globalen Lieferketten : „Ich bin überzeugt davon, dass Lieferketten nach der Corona-Krise neu bewertet werden müssen. Die Konsequenz wird sein, die Produktion relevanter Güter wieder verstärkt nach Europa zu verlagern. Dank intelligenter Automation lässt sich das auch wirtschaftlich darstellen.“

Deshalb geht Pühringer davon aus, dass die Nachfrage nach hochflexiblen Automatisierungslösungen nach Corona deutlich steigen wird, was dann sogar die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze in Europa zur Folge haben könnte. „Ganz abgesehen davon sind kürzere Transportwege nicht nur kalkulierbarer, sondern tragen maßgeblich zur CO2-Vermeidung bei“, sagt Pühringer.

Ein weiterer Vorteil flexibler Automation ist die Skalierbarkeit: „Mit den hochflexiblen Produktionskonzepten der Smart Factories werden die Auswirkungen solcher Krisen, wie wir sie derzeit erleben, besser in den Griff zu bekommen sein“, so der Stäubli-Geschäftsführer. Eine digital vernetzte Produktion samt Flexibilität durch fahrerlose Transportsysteme und mobile Robotersysteme erlaube eine rasche Umstellung von einem Produkt auf ein anderes, so Pühringer. Diese enorme Flexibilität begegne nicht nur zunehmender Typenvielfalt, häufigen Modellwechseln und Stückzahlschwankungen, so Pühringer, „sondern macht sich natürlich auch in Krisenzeiten bezahlt.“

Flexibilität in der Produktion

Winkelmann nickt: „Vor allem bei Produkten, für die es jetzt erhöhte Nachfrage gibt, könnten Hersteller in Zukunft auf mehr Flexibilität in ihrer Produktion setzen, um besser auf eine veränderte Nachfrage reagieren zu können.“ Kurzum: Nachhaltigkeit und lokale Produktion bedingen eine hochflexible Automation, vor allem innerhalb Deutschlands. Winkelmann: „Das dürfte nach der Krise ein Zukunftsthema werden.“

Allerdings erwartet IPA-Forscher Kraus nicht, dass die Corona-Krise die Produktion in Deutschland wirklich grundlegend verändern wird: „Natürlich könnte eine vollautonome Produktion jetzt besser am Laufen gehalten werden als eine manuelle, bei der viele Mitarbeitende nun nach Hause geschickt werden müssen. Und könnte man binnen weniger Tage wirklich flexibel von manuelle auf teil- oder vollautonome Produktion umstellen, wäre das natürlich wünschenswert.“

Die Realität sei aber eine andere: „Automatisierungstechnologien einzusetzen ist mit langen Planungs- und Einrichtungszeiten verbunden. Aktuelle Entwicklungen wie Fortschritte mit künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen haben das Ziel, hier für deutlich schlankere Abläufe zu sorgen. Bis das flächendeckend nutzbar wird, wird es aber noch dauern.“


Bild: Pilz

Pilz profitiert von Fabrik-Standardisierung

Der Automatisierungsspezialist Pilz profitiert in der aktuellen Lage davon, dass man in allen Produktionsstätten einheitliche Bedingungen geschaffen hat. „Ob im französischen Betschdorf, im deutschen Ostfildern oder chinesischen Jintan: Die Produktion läuft nach denselben Konzepten und Prozessen mit den gleichen Maschinen ab“, betont Pilz. So könne man nicht nur Großaufträge innerhalb kurzer Zeit bewältigen, sondern auch bei einem Ausfall (z.B. angeordnete Werksschließung wie jetzt wegen Corona) die Produktionsfähigkeit aufrecht zu erhalten, in dem man Aufträge von einem Werk ins andere schiebt. Die Standardisierung betrifft den Maschinen- und Anlagenpark ebenso wie Zertifikate und Prozesse (alle Werke sind nach ISO 90001 zertifiziert) sowie Arbeitsanweisungen, Arbeitspläne und Ausstattung: An allen Standorten werden die gleichen Arbeitsmittel wie Lötpaste oder Regalsysteme verwendet.


 

Corona gibt Digitalisierung einen Schub

Die Corona-Krise wird die Digitalisierung in deutschen Unternehmen weiterentwickeln und beschleunigen, ist der Industrie-4.0-Verein SEF Smart Electronic Factory überzeugt. „Die Corona-Krise führt derzeit auch den Skeptikern die Relevanz der Digitalisierung vor Augen. Durch Corona wird das Arbeiten und Agieren über das Internet schlagartig unverzichtbar für die Fortführung der Geschäftstätigkeiten im Sinne der Business Continuity in vielen Unternehmen“, erklärt Maria Christina Bienek, Geschäftsführerin der Smart Electronic Factory.

Bitkom-Präsident Achim Berg stimmt zu: „Die Corona-Pandemie und die drastischen Beeinträchtigungen des öffentlichen Lebens erzwingen ein radikales Umdenken in der Kultur vieler Unternehmen.“ Denn digitale Technologien seien der Schlüssel, wenn es darum geht, die Arbeitsfähigkeit von Wirtschaft und öffentlichen Einrichtungen in der gegenwärtigen Situation zu gewährleisten. Die Potenziale, die digitale Technologien bieten, würden jetzt sichtbar – „und diese nutzen ja nicht nur im Kampf gegen das Virus, sondern etwa auch bei der Reduzierung des Berufsverkehrs und der damit verbundenen Emissionen“, so Berg.

Die Mitarbeiter schätzen die virtuellen und dezentralen Formen der Zusammenarbeit: 85 % der Arbeitnehmer freue sich über die Möglichkeiten des mobilen Arbeitens, zeigt eine Umfrage des Internetverbands Eco. Rund ein Drittel der Angestellten gibt an, in nächster Zeit vermehrt mithilfe von Videokonferenzen mit Kunden und Kollegen zu kommunizieren. Über 20 % wollen mehr Tools zur Online-Projektarbeit im Team nutzen. Rund 10 % setzen vermehrt auf digitale Weiterbildungsangebote wie Webinare.

www.smartelectronicfactory.de

http://web.eco.de

www.bitkom.org


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