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China ist und bleibt “the place to be” in der Robotik

Der chinesische Markt setzt wesentliche Trends in der Industrieautomation
China ist und bleibt “the place to be” in der Robotik

China war für die Robotik und Automation noch nie so spannend wie heute. Im letzten Jahr wurde dort nicht nur mehr als jeder zweite Industrieroboter auf der Welt verkauft, sondern der chinesische Markt setzt mittlerweile auch wesentliche Trends in der Industrieautomation. Davon wollen und können auch internationale Firmen profitieren.

Autor: Georg Stieler, Stieler Technologie- & Marketing-Beratung

Vor acht Jahren haben wir darauf hingewiesen, dass intelligente und vernetzte Produktionsmethoden Chinas Status als Fabrik der Welt gefährden könnten. Seither hat kein anderes Land die Automatisierung seiner Produktionskapazitäten mit solch einer Entschlossenheit vorangetrieben – mit entsprechenden Folgen für das eigene Ökosystem. Die Anzahl verkaufter Industrieroboter im Jahr 2022 veranschaulicht das eindrücklich: Danach wurden in China über 250.000 Roboter verkauft – ein Vielfaches der Stückzahlen in der EU (72.000, davon rund 26.000 Deutschland) und den USA (rund 44.000).

Und der chinesische Roboter-Boom, der sich zunächst in der Fertigung von Elektronikprodukten abzeichnete, setzt sich inzwischen bei Elektroautos, Batterien und in der Photovoltaik fort. Zwar ist der Höhepunkt bei der Beauftragung neuer Produktionskapazitäten für Elektroautos wohl überschritten, allerdings sind E-Mobility-Projekte immer noch für den Großteil der Roboterverkäufe in China verantwortlich. Und in den ersten sechs Monaten 2023 setzte sich der Aufwärtstrend fort. Nach unseren Berechnungen wurden allein im ersten Halbjahr 144.288 Industrieroboter in China verkauft, ein Zuwachs von 17,1% im Vergleich zum Vorjahr.

Wer sind die Treiber?

Während die bis 2022 für den Roboterabsatz in China besonders wichtige Elektronikfertigung unter der zurückhaltenden Konsumentennachfrage im Inland sowie der Verlagerung großer Kapazitäten nach Südostasien leidet, sind die wichtigsten Robotik-Wachstumstreiber in diesem Jahr die Herstellung von Solarpanels und Batteriezellen – alles Anwendungen, die in Europa gar nicht oder nur begrenzt existieren.

Da das Land der Mitte in diesen Bereichen führend ist, profitieren die Unternehmen hier von entsprechenden Skalenerträgen und Lerneffekten. Marktbeobachter rechnen damit, dass sich die Produktionskapazität für Solarpanels in China von 380 GW Anfang 2022 bis Ende dieses Jahres auf bis zu 800 GW mehr als verdoppeln wird. Für Batteriezellen etablieren sich derzeit Speicher in räumlicher Nähe zu Wind- oder Solarparks als zusätzlicher Absatzmarkt.

Roboter aus China im Kommen

Von diesem Trend profitieren nicht zuletzt auch die chinesischen Roboterhersteller: In den letzten Jahren sind einheimische Hersteller zunehmend in Bereiche vorgedrungen, die davor ausländischen Roboterherstellern vorbehalten waren. So hat der führende chinesische Knickarmroboter-Hersteller Estun letztes Jahr in China über 17.000 Roboter verkauft – das sind zwar weniger als Fanuc und Kuka, aber bereits mehr als ABB und Yaskawa.

Im Scara-Bereich hat Inovance den japanischen Herstellern Epson und Yamaha massiv Marktanteile abgenommen. Und der Trend scheint sich fortzusetzen: Im ersten Halbjahr 2023 konnte etwa Estun seine Verkaufserlöse im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 35,38% steigern.

Wesentliche Gründe für den Erfolg chinesischer Newcomer waren – neben Lieferproblemen bei den internationalen Marktführern – auch die Fähigkeit, sich schnell an neue Markttrends anzupassen und skalierbare Lösungen für Wachstumsfelder zu entwickeln.

Das Ausland rückt in den Fokus

Inzwischen streben einige chinesische Hersteller – nicht zuletzt auch aufgrund des harten Preiskampfs im Inland – verstärkt ins Ausland. Die Cobot-Hersteller Jaka, Dobot und Aubo planen jeweils einen Börsengang, um verstärkt in die internationale Expansion investieren zu können. Um sich gegen zunehmende geopolitische Risiken abzusichern, bauen chinesische Komponentenhersteller zudem Produktionsstandorte in Südostasien, Europa und Nordamerika auf. So investiert etwa Leaderdrive, einer der führenden Hersteller von Servos und Robotergetrieben, in Kapazitäten in Mexiko.

Starkes Ökosystem entstanden

Dabei profitiert die chinesische Robotik-Szene auch davon, dass im Vergleich zu Europa mehr Fachkräfte verfügbar sind, sowohl auf der Entwickler- wie auch auf der Systemintegratoren-Seite. Zusammen mit der in den letzten Jahren entstandenen lokalen Lieferkette ermöglicht das kürzere Produktzyklen und drastisch günstigere Kosten bei Machine Vision, Industrierobotern und kollaborativen Robotern.

Daher greifen auch führende ausländische Unternehmen verstärkt auf die chinesische Lieferkette zurück. Kuka beispielsweise eröffnete Ende Mai die zweite Ausbaustufe der neuen Fabrik in Shunde. Das Werk ist der größte Fertigungsstandort für Roboter in Südchina. Fanuc stellte im Juli die Ausbaustufe ihres Shanghaier Werks fertig – der größte Standort außerhalb Japans.

Wirtschaftskrise drückt Robotik

Dennoch herrscht nicht nur eitel Sonnenschein: Denn auch die Robotik kann sich der derzeitigen Schwäche der chinesischen Wirtschaft nicht entziehen. Fanuc berichtete Ende Juli von bisher beispiellosen Lagerbeständen in China. Das japanische Unternehmen kommunizierte zwar keine detaillierten Zahlen für die Robotersparte, allerdings fielen die gesamten Bestellungen der Gruppe in dem Land um 42 % im Vergleich zum Vorjahr.

Eine Normalisierung der Auftragseingänge sei vor 2024 nicht zu erwarten, möglicherweise auch erst später, heißt es bei Fanuc. Die Zahlen für andere Branchenschwergewichte in China gingen in dieselbe Richtung: Bei Yaskawa sanken die Bestellungen in China im zweiten Quartal gruppenweit um 27%, bei ABB im Robotersegment um 37%. Und dies dürfte noch nicht die Talsohle darstellen. Der Anpassungsprozess dürfte schmerzhaft werden.

Konsolidierung steht bevor

Daher dürfte es der Robotik ähnlich ergehen, wie beispielsweise der Baumaschinenbranche, in der nach dem Boom von 2007 bis 2012 ein Konsolidierungsprozess einsetzte. Führende chinesische Unternehmen wie Sany sind daraus gestärkt hervorgegangen und haben mittlerweile ihre Kosten und Prozesse im Griff. Sie haben sich daher auch auf dem Weltmarkt zu ernsthaften Wettbewerbern für die etablierten europäischen und amerikanischen Unternehmen entwickelt. In der Robotik erwarten wir eine ähnliche Entwicklung.

China wird (dennoch) auf absehbare Zeit der größte Markt für Robotik und Automationsprodukte bleiben. Dafür sorgen zum einen die Stärken in Zukunftsbranchen wie Elektroautos, Batterien und Photovoltaik und zum anderen die leistungsfähigen Lieferketten für die meisten Schlüsselkomponenten.

Regierung pusht die Robotik

Zudem: Da eine starke Roboterindustrie integraler Bestandteil der Modernisierungsbestrebungen der chinesischen Regierung ist, werden führende Unternehmen weiterhin gefördert. Gerade im August hat die Stadtregierung von Peking einen entsprechenden Fonds aufgelegt, der mit 10 Mrd. RMB ausgestattet werden soll.

Zumal auch andere Technologien das Robotik-Segment befeuern: Mittelfristig wird beispielsweise eine leistungsfähigere KI die Breite der Anwendungen deutlich erweitern. Huawei hat hierfür im Juni eigens eine Robotik-Tochtergesellschaft gegründet, die mit 870 Mio. RMB Grundkapital ausgestattet ist.

Trotz aller geopolitischen Spannungen erreichen uns daher derzeit weitere Anfragen von europäischen Unternehmen aus dem Roboterbereich, die die chinesische Lieferkette für sich nutzen wollen – für den dortigen Markt, aber auch für andere Regionen. Je nach Produkt sind die Kostenvorteile, aber auch Flexibilität und Geschwindigkeit des dortigen Ökosystems einfach zu attraktiv.

Statt ständiger rhetorischer Eskalation gegenüber China wären die politisch Verantwortlichen in Berlin und Brüssel gut beraten, endlich die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit Europas als Wirtschaftsstandort an die erste Stelle ihrer Agenda zu setzen. Entwürfe zur Regulierung von KI deuten leider in die entgegengesetzte Richtung.

http://www.stm-stieler.de


Über den Autor

Georg Stieler hat 2011 die Niederlassung der Stieler Technologie- & Marketing-Beratung in Shanghai gegründet. Mit seinem lokalen Team hat er seither über 40 Markteintritts- und Expansionsprojekte in China, vorrangig für ausländische Unternehmen aus den Bereichen Robotik, Sensoren, Steuerungstechnik und Software realisiert. Dadurch hat er sich ein umfangreiches Fachwissen über die chinesische Automationsindustrie erarbeitet und gilt heute als einer der führenden Experten auf diesem Gebiet. Darüber hinaus hilft er jungen Technologieunternehmen, auf dem europäischen Markt Fuß zu fassen.


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