Die dänische Stadt Odense soll zur weltweit führenden Robotik-Stadt werden. So zumindest lautet das erklärte Ziel von Bürgermeister Peter Rahbæk Juel. Die ambitionierte Großstadt liegt auf der Insel Fünen und beheimatet rund 200 000 Einwohner. Aushängeschild der Stadt ist neben Hans Christian Andersen die florierende Robotikbranche mitsamt Flaggschiff Universal Robots (UR). Spätestens der Verkauf des Cobot-Pioniers für 285 Mio. USD an den US-Konzern Teradyne brachte Odense auf die Robotik-Landkarte. „Nicht zuletzt dank der Erfolge von Universal Robots, Start-up-freundlicher Rahmenbedingungen und einem in seiner Art wohl einzigartigen Zusammenhalt der Community wurde Odense zu einem bedeutenden Hotspot der Robotik“, zeigt sich Henrik Schunk, geschäftsführender Gesellschafter und CEO bei Schunk, begeistert.
Vom Schiffsbau zur Robotik
Der Grundstein für diese Entwicklung wurde vor mehreren Jahrzehnten gelegt: Bevor Odense zum Robotik-Hotspot wurde, drehte sich hier alles um den Schiffsbau. Um dort mit asiatischen Wettbewerbern mithalten zu können, musste die Odense Staalskibsværft, eine Werft der dänischen Mærsk-Gruppe, ihre Fertigungsprozesse überdenken. In den 1980er-Jahren kooperierte das Unternehmen deshalb mit der örtlichen Universität, um im Bereich der Robotik zu forschen. 1997 spendete der Firmengründer A. P. Møller 80 Mio. dänische Kronen für ein Forschungsinstitut. Bald darauf konnten die ersten Schweißroboter für die Werft produziert werden.
Seitdem konnte eine Menge Knowhow und Talent in der Region gefördert werden. Heute vereinigt das Cluster Odense Robotics mehr als 130 Unternehmen der Bereiche Robotik und Automation unter seinem Dach. Diese beschäftigen aktuell rund 3600 Menschen und generierten 2017 einen Jahresumsatz von 763 Mio. Euro – Tendenz steigend. Allein durch Exporte konnten die Robotikfirmen aus Odense 509 Mio. Euro umsetzen.
„Dänemark ist ein kleines Land mit einem kleinen Heimatmarkt, daher haben wir von Anfang an global gedacht“, sagt Thomas Visti, CEO des Robotikspezialisten Mobile Industrial Robots (MiR) und ehemaliger Vertriebsleiter bei UR.
Talente mit Talenten locken
Ein besonderes Augenmerk legt das Netzwerk auch auf Gründer und bietet mit dem Robotics Start-up Hub ein Förderprogramm in Odense an. „Hier haben Unternehmen die Möglichkeit, ihre Organisationsentwicklung zu beschleunigen und ihre Produkte durch die Unterstützung und Beratung von Spezialisten weiterzuentwickeln“, erklärt Mikkel Christoffersen, Cluster Director bei Odense Robotics. Bisher konnten 11 Start-ups das Programm abschließen – mehr als 80 % mit kommerziellem Erfolg. Insgesamt ist rund die Hälfte der Unternehmen im Cluster 2010 oder später gegründet worden.
„Odense Robotics, das Southern Denmark Growth Forum und die Stadt Odense sind bestrebt, die besten Bedingungen für die Entwicklung neuer Technologien und Unternehmen im Bereich der Robotik zu schaffen“, so Christoffersen. Die Unternehmen haben Zugang zu einer Reihe von Dienstleistungen, die sie beim Wachstum unterstützen, z. B. durch Innovationsprojekte, Kompetenzentwicklung und Hilfe bei der Rekrutierung.
Ein Beispiel für die gelungene Arbeit mit Start-ups ist Purple Robotics. Die drei Gründer Lasse Kieffer, Henrik Tillitz Hansen und Peter Nadolny Madsen, die zuvor bei UR als Produktentwickler tätig waren, entwickelten einen cleveren doppelten Vakuum-Greifer. Dieser verleiht einem Roboterarm zwei „Hände“ und ermöglicht ihm damit, mehrere Objekte gleichzeitig zu handhaben und mehrere Aufgaben in einer Bewegung zu lösen. „Es war eine inspirierende Erfahrung, ein gänzlich neues Robotik-Unternehmen aufzubauen und mit unserer Erfindung für einen Umbruch auf dem Markt für Vakuum-Greifer zu sorgen“, erzählt Kieffer. Im vergangenen Jahr wurde das Unternehmen vom expandierenden Greiferspezialisten Onrobot aus Odense übernommen. Dessen CEO, Enrico Krog Iversen, war bereits von 2008 bis 2016 Geschäftsführer bei UR.
Wachstum durch Knowhow-Transfer
Die Vermittlung von Wissen ist ein wichtiger Aspekt der gemeinschaftlichen Arbeit in Odense. „Netzwerke, Partnerschaften – auch solche zwischen Wettbewerbern – und kreativer Freiraum beschleunigen die Entwicklungen in Odense und sprengen Grenzen in den Köpfen. Das zeigt sich auch an den Lösungen im Bereich Robotik, die den Robotikmarkt komplett verändert haben“, erklärt Henrik Schunk. „Das enge Miteinander eröffnet enorme Potenziale in der Entwicklung, aber auch im Tagesgeschäft. Dieser besondere Teamgeist ist Teil der Erfolgsgeschichte von Odense.“ Der Greiferexperte Schunk ist seit 2016 mit einer eigenen Ländergesellschaft in Odense vertreten und hat Anfang 2019 erstmals seine Expert Days on Service Robotics in der dänischen Stadt ausgerichtet.
Mikkel Christoffersen: „Die Unternehmen des Odense Robotics Clusters sind sich einig, dass Zusammenarbeit der Schlüssel zum Erfolg ist.“ Tatsächlich kooperieren 78 % der Unternehmen in Odense Robotics mit anderen Clusterunternehmen. „Anstatt gegeneinander anzutreten, gibt es den Wunsch und das Engagement, einander zu helfen, indem sie zusammenarbeiten, neue Technologien entwickeln und Wissen teilen.“
Das bestätigt Thomas Visti: „Wir arbeiten eng zusammen. Wir tauschen uns aus, geben unsere Erfahrungen weiter und helfen uns untereinander auch mit Kontakten weiter.“ Aber auch die lokale Regierung unterstützt den Cluster vorbildlich: „Ich habe auf der ganzen Welt noch nichts Vergleichbares gesehen, wo eine so beeindruckende Anzahl an Robotikfirmen so stark von der Regierung unterstützt wird“, freut sich Visti.
Tatsächlich ist das Robotik-Cluster auch ein Schwerpunktthema der öffentlichen Hand – Verwaltung, Forschung und Entwicklung arbeiten eng zusammen. Das lockt auch internationale Größen an. Wenn der positive Trend in Odense anhält, will Schunk die Zahl seiner Mitarbeiter vor Ort ausbauen – und ist damit vermutlich nicht alleine. Henrik Schunk ist optimistisch: „Ich persönlich bin der Meinung, dass der ehrgeizige Plan von Bürgermeister Peter Rahbæk Juel gelingen kann, wenn er weiter so zielgerichtet umgesetzt wird.“
Odense Robotics
www.odenserobotics.dk
Unternehmen im Fokus
- Blue Ocean Robotics hat mit seinem UVD Robot den 15. Innovations- und Entrepreneur-Award in Robotik und Automation (IERA) gewonnen. Der kollaborative Desinfektionsroboter fährt autonom durch Krankenhäuser und sendet dabei konzentriertes UV-C-Licht aus, um Bakterien und andere schädliche Mikroorganismen zu beseitigen. Ein weiteres Produkt ist der Multi Tower Robot, ein mobiler Roboter für die sichere Patientenbehandlung. Jede der Blue-Oceans-Robotermarken ist dabei als eigenständiges Venture-Unternehmen aufgestellt.
- ROEQ vertreibt spezielles Equipment für die MiR-Roboter von Mobille Industrial Robots für verschiedene Abhol- und Zustellaufgaben. Dazu gehören verschiedenes Zubehör und Wagen, die an den Mobilroboter gekoppelt werden können.
- Kobots entwickelt einen mobilen, sprachgesteuerten Schneidroboter für die Bauindustrie. Dort soll er die Produktionskapazität um bis zu 300 % steigern. Gleichzeitig reduziert der Roboter die Ausschussquote und erhöht die Arbeitssicherheit. Die gesamte Maschine ist in zehn Minuten aufgebaut und kann in zwei Sporttaschen verstaut werden.
- Trivision wurde 1999 gegründet und hat sich auf die Entwicklung automatisierter Qualitätskontrollsysteme für die Lebensmittel- und Verpackungsindustrie spezialisiert. Diese sollen dabei helfen, die Effizienz und Güte in der Produktion mittels Dokumentation und Nachverfolgbarkeit zu verbessern.
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