Was muss man beim Einstieg in die Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) beachten? Der Pionier Dieter Faude gibt Tipps.
„Keine Frage: Cobots – also kollaborierende Roboter, die für die Zusammenarbeit mit dem Menschen ausgelegt sind – sind auf dem Vormarsch“, sagt Dieter Faude. „Bei VW, Daimler und BMW haben sich diese Leichtbauroboter bewährt und sind von den Mitarbeitern akzeptiert.“ Faude muss es wissen, hat er doch im Volkswagen-Motorenwerk Salzgitter einen der ersten kollaborierenden Roboter des VW-Konzerns installiert.
Dank ausgefeilter Sensortechnik können die Cobots ohne Schutzzaun in bestimmten Anwendungsfällen direkt mit dem Menschen zusammenarbeiten. „Und genau das ist der Knackpunkt: der Anwendungsfall“, betont Faude. „Denn nicht jede Anwendung lasse sich als eine MRK-Lösung umsetzen.“ Ein No-Go ist aus seiner Sicht das Handling von spitzen und scharfkantigen Bauteilen ohne entsprechende Schutzmaßnahmen. Und spitze Teile sind nicht das einzige Hindernis: Aus Faudes Erfahrung scheitern MRK-Lösungen an Problemen wie zu kurze Taktzeiten (50 %), zu hohes Bauteilgewicht (30 %), zu langer Bauteilgeometrie (10 %), zu kleinen Arbeits- und Achsbereichen (5 %) sowie ungeeigneten Prozessen wie zu hohe Temperaturen (5 %).
„Wie man sieht, ist die Taktzeit, also die Geschwindigkeit mit dem sich der Roboterarm bewegen sollte, die größte Herausforderung“, sagt Faude. „Kommt es nämlich an empfindlichen Körperstellen zu einer Kollision, werden schnell die Grenzwerte der ISO/TS 15066 überschritten.“ Entsprechend sieht Faude in erster Linie Anwendungen wie Pick-and-Place-Aufgaben mit kleinen, leichten und abgerundeten Teilen und nicht zu schnellen Taktzeiten als MRK-tauglich an. Faude: „Trifft einer der Parameter nicht zu, sollte man Erfahrung und Erfindergeist haben, um die Anwendung umzusetzen.“
Daher rät Faude davon ab, einfach mal schnell einen MRK-Roboter zu kaufen, in Betrieb zu nehmen und dann Personen damit arbeiten zu lassen, ohne die entsprechende Erfahrung zu haben und die relevanten Richtlinien und Normen zu kennen. „Denn der Roboterhersteller garantiert nur für die Einhaltung der Richtlinien für den Roboter selbst, nicht aber für den Einsatz oder die Applikation des Roboters.“
Jede Applikation braucht eine Risikobeurteilung
Aber eine Applikation bestehe eben nicht nur aus dem kollaborierenden Roboter selbst, sondern auch aus dem Werkzeug (z. B. Greifer), dem bewegten Bauteil sowie der Arbeitsplatz-Umgebung. Kollisionen im Kopf- und Halsbereich müssen mittels sicherer Bereichsgrenzen des Roboters komplett ausgeschlossen werden beziehungsweise es ist darauf zu achten, dass keine großen Relativbewegungen des Roboters in diesem Bereich stattfinden, sondern, wenn nicht anders möglich, auf Tischebene.
Daher muss man für jede Applikation unbedingt eine entsprechende Risikobeurteilung durchführen und darauf aufbauend entsprechende Schutzmaßnahmen ableiten. Den normativen Rahmen setzen dabei die DIN EN ISO 10218 (Sicherheitsanforderungen an Industrieroboter) sowie die ISO/TS 15066 (sicherer Einsatz von Industrierobotern im kollaborativen Betrieb), erläutert Faude. Ebenso sei die DIN EN ISO 13849 zur Sicherheit von Maschinensteuerungen zu beachten.
Wichtiger Bestandteil der Risikobeurteilung ist es, auf die Kollisionsgefahren zwischen kollaborierendem Roboter und arbeitender Person zu achten. „Dazu sind entsprechende Kollisions-Messungen zur Bestimmung der biomechanischen Belastungen, sprich Kraft und Druck, einer Person durchzuführen“, erläutert Faude. Welche Grenzwerte hier erlaubt sind, regelt die besagte ISO/TS 15066.
Für diese Messungen und die Bewertung des Restrisikos ist einiges an Erfahrung notwendig, so Faude. Dennoch sollte man sich nicht abschrecken lassen. „Denn unter dem Strich gibt es mehr Chancen als Fallstricke.“ Aus Faudes Sicht werden wandel- und skalierbare Automatisierungslösungen mit dem Schwerpunkt Cobot-Automation zunehmend für die Substitution/Ergänzung herkömmlicher Automatisierungssysteme eingesetzt. „Denn mit Cobots nutzen sie die Chancen von Internet of Things und den Aufbau von preisgünstigen, skalierbaren Industrie 4.0 Serienproduktionen.“ ↓
Cobot Consulting
10 Schritte für die MRK
Zehn Schritte zur Mensch-Roboter- Kollaboration empfiehlt der Cobot-Pionier Dieter Faude:
- 1. Prozess festlegen (Beölen, Befetten, Verschrauben usw.)
- 2. Klärung, ob trennende oder nichttrennende Schutzeinrichtungen möglich sind
- 3. Bauteilgewicht, Bauteilgeometrie festlegen
- 4. Geplante Greiftechnik, Greiferwechselsysteme festlegen
- 5. Teilebereitstellung, Teileabfuhr für den Cobot festlegen
- 6. Taktzeit für den Cobot ermitteln
- 7. Arbeits- und Achsbereiche des Cobots festlegen
- 8. Sicherheitsgerichtete Funktionen des Cobots festlegen
- 9. Type und Hersteller des Cobots auswählen
- 10. Die Betriebsart des Cobots festlegen
Man unterscheidet grundsätzlich 3 verschiedene Betriebsarten bei MRK-Applikationen:
a) Mensch-Roboter-Koexistenz
(Nebeneinander, getrennte Arbeitsräume)
b) Mensch-Roboter-Kooperation
(Zusammenarbeit, Eingriffszonen)
c) Mensch-Roboter-Kollaboration
(Zusammenarbeit, gemeinsame Arbeitsräume) ↓
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