Warum sprießen in Deutschland aktuell so viele Robotik- und Automations-Start-ups aus dem Boden?
Erhart: Für Deutschland und Europa sind Innovation und unternehmerisches Handeln essenziell. Daher können wir sehr froh sein, dass B2B- und Technologie-Gründungen gerade einen Schub erhalten. Dazu beigetragen haben sicherlich die vielen Maßnahmen sowohl bei der unternehmerischen Ausbildung – etwa am Gründungszentrum UnternehmerTUM in München, aber auch an vielen anderen Städten – als auch die Professionalisierung der Gründungs- und Finanzierungslandschaft.
Mut zur Gründung ist das eine – das andere ist das nötige Kapital: Warum ist die Robotik gerade so interessant für Investoren?
Erhart: Die Robotik ist für Investoren ein attraktives Segment, weil langfristige Megatrends wie Fachkräftemangel, steigende Produktivitätsanforderungen und veränderte Wertschöpfungsketten für langfristiges Wachstum der Robotik sorgen dürften. Hinzu kommt: Erste große Finanzierungsrunden – wie die von Agile Robots, Agilox, Exotec oder Fruitcore Robotics – ziehen natürlich Aufmerksamkeit am Investorenmarkt auf sich. Wenn diese Aufmerksamkeit dann mit Traktion untermauert wird, sprich wenn wirklich marktreife Produkte auf ein großes Kundensegment treffen, dann ist es für die Investoren auch rational, größere Investments zu tätigen. Und es dauert ja gerne fünf bis fünfzehn Jahre um ein Startup auf zu einem gewichtigen Unternehmen aufzubauen.
Werden diese Newcomer dann eines Tages wichtiger sein als die traditionellen Größen wie Fanuc oder Kuka?
Erhart: Berufsbedingt schlägt mein Herz natürlich dafür, mit schnellwachsenden Start-ups Märkte umzukrempeln und große Unternehmen aufzubauen. Und wer hätte gedacht, dass Start-ups wie Flixbus oder Celonis schon nach wenigen Jahren Unternehmen wie der Bahn oder SAP Konkurrenz machen? Nichts desto trotz sind die etablierten Robotik-Unternehmen selbst außerordentlich innovativ. Robotik-Start-ups dürften also vor allem dort zum ganz großen Player werden, wo sich die etablierten Unternehmen weniger fokussieren.
Wie ist die deutsche und europäische Robotik-Start-up Szene im internationalen Vergleich aufgestellt?
Erhart: Kurz gesagt: Technologisch sehr weit vorn, bei der Kapitalausstattung allenfalls im Mittelfeld.
Warum?
Erhart: Im Vergleich zu den USA waren wir viele Jahre geradezu abgeschlagen, was die Finanzierungsvolumen anbelangt – meist haben auf Deutsch gesagt ein oder zwei Nullen gefehlt. Im Zuge der Pandemie sind die Finanzierungsmärkte der USA und Europas zusammengewachsen und Kapital strömt nun dorthin, wo Talente verfügbar und Unternehmensbewertungen noch relativ günstig sind – also nach Europa. Neu ist übrigens, dass Investoren mit Begeisterung auch in Geschäftsmodelle mit Hardware investierten.
Braucht es in Deutschland einen Cluster wie die dänische Cobot-Hochburg Odense, in dem sich die Entwicklung konzentriert?
Erhart: Warum denken wir denn nicht etwas mutiger? Warum sollte Deutschland nur ein Odense suchen? Warum könnten nicht in Stuttgart, München, Dresden, am Bodensee oder in Hessen mehrere Zentren mit hoher Innovations- und Gründungsaktivität entstehen? Die UnternehmerTUM hat in München sicher sehr starke Arbeit geleistet, was die Belebung des Gründungsstandortes anbelangt. Wie UnternehmerTUM-Gründer Helmut Schönenberger jedoch immer sagt, muss es die Ambition sein, dass in Deutschland zehn solcher Regionen entstehen, um das Potenzial unserer Volkswirtschaft auch zu heben. Aachen, Karlsruhe, Dresden und Berlin zeigen, dass das geht. Und wir brachen die Power und das Potenzial aller Regionen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.
Als UVC investieren Sie ja nicht nur in die Robotik: Was zeichnet die Robotik-Szene insbesondere aus? Und wo hat sie Nachteile gegenüber anderen Tech-Branchen?
Erhart: Wir sind in der Tat in zahlreichen Technologie-Segmenten vertreten. Von Batterietechnik, Fahrradantriebe, Luft- und Raumfahrttechnik über Quantenrechner bis hin zu Mobilitätslösungen wie Flixbus oder Finn. In der Robotik sind wir beispielsweise bei Fruitcore Robotics engagiert. Um ein Robotik-Unternehmen mit einer Ende-zu-Ende-Lösung aufzubauen, ist eine tendenziell seltene Kombination verschiedenster Fähigkeiten bei Hard- und Softwareentwicklung sowie auch Produktions-Know-how nötig. Das ist sicherlich ein Vorteil für bereits erfolgreiche Robotik-Gründer, da es hohe Hürden für den Markteintritt anderer Player schafft. Es ist aber natürlich auch ein Nachteil, dass die Hürden so hoch sind, ein Robotik-Unternehmen mit einer breiten Positionierung zu gründen. Denn das erfordert einen langen Atem. Ein E-Commerce-Shop ist sicher schneller aufgesetzt.
Tipp: Über die „Roboter-Revolution der Robotik-Start-ups“ spricht Benjamin Erhart auch am 22. Juni 2022 um 11 Uhr auf dem Automatica Forum in Halle A5.
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