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Mobile Transportroboter: Wieviel Autonomie ist nötig?

Fahrerlose Transportsysteme (FTS) und autonome mobile Roboter (AMR) verschmelzen
Mobile Transportroboter: Wieviel Autonomie ist nötig?

Ob FTS oder AMR: Mobile Transportroboter sind gefragt wie nie. Wie viel Autonomie aber jeweils nötig ist, wird ebenso diskutiert wie die Interoperabilität zwischen Fahrzeugen verschiedener Hersteller. Ein Überblick.

Autor: Armin Barnitzke

Mobile Transportroboter sind derzeit mächtig im Kommen, das ist klar. Laut Statistik des Weltroboterverbands IFR wurden 2021 weltweit 50.000 Transportroboter verkauft, ein stolzes Plus von 47 %. Kein Wunder: Während die Produktion vielerorts schon gut automatisiert und optimiert ist, gibt es beim Materialtransport in vielen Unternehmen noch Verbesserungsbedarf. Zumal es angesichts des Fachkräftemangels keine gute Idee mehr ist, wertvolle Arbeitskraft mit eintönigen Transportaufgaben zu vergeuden.

Weniger klar sind allerdings die Begrifflichkeiten: Während traditionelle Hersteller ihre automatisierten Transportlösungen als fahrerlose Transportsysteme (FTS) oder fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF) beziehungsweise englisch AGV (Automated Guided Vehicle) vermarkten, sind inzwischen jede Menge neuer Anbieter am Markt aktiv, die lieber von AMR (Autonomous Mobile Robot) sprechen. Und betonen, dass ihre AMR aufgrund ihrer autonomen Navigation viel flexibler und moderner seien als die klassisch spurgeführten FTS-Fahrzeuge.

„Klassifizierung in FTS und AMR macht überhaupt keinen Sinn“

Mathias Behounek, Geschäftsführer des FTS-Spezialisten Safelog, findet diese Unterscheidung jedoch „irreführend“. Für ihn sind FTS und AMR „je nach Setup aus technologischer Sicht nahezu identisch. Beides sind fahrerlose Fahrzeuge, die über mehr oder weniger autonome Funktionen verfügen. Unsere Transportfahrzeuge fahren überwiegend spurgeführt, sind aber auch in der Lage, frei zu navigieren. Die Klassifizierung in FTS und AMR macht hier überhaupt keinen Sinn.“

Bei Safelog spreche man daher lieber von „mobilen Transportrobotern“, um die vermeintliche Grenze zwischen den Systemen aufzubrechen. „Die Entscheidung, ob eine autonome oder spurgeführte Navigation eingesetzt wird, sollte nicht aufgrund von Begrifflichkeiten getroffen werden. Es zählt allein, welcher Grad an Autonomie zum jeweiligen Anwendungsfall passt.“ Denn das autonomste System sei nicht zwangsläufig das Beste.

In der Automobilindustrie etwa sei die Taktfertigung auf die Sekunde genau geplant. „Die Transportroboter müssen Komponenten und Bauteile nach dem Perlenketten-Prinzip in einer fest definierten Reihenfolge an das Band liefern. Diese darf unter keinen Umständen verändert werden.“ Eine komplett autonome Navigation sei hier daher gar nicht sinnvoll: „Man möchte keine unberechenbaren Faktoren, wenn zum Beispiel ein Transportroboter eigenständig ein Ausweichmanöver ausführt und damit den Linienverkehr durcheinanderbringt.“

Die autonome Navigation ist kein Allheilmittel

Mathias Behounek warnt daher vor überhöhten Erwartungen. „Autonome Navigation ist kein Allheilmittel für fehlerhafte Prozesse. Viele Situationen lassen sich zwar durch Ausweichen lösen. Aber wenn ein Roboter auf eine Palette stößt, die da nicht hingehört, stimmt etwas in den Abläufen nicht.“ Für Kai Pfeiffer, Servicerobotik-Experte am Fraunhofer IPA, ist es entscheidend, eine mobile Transportlösung genau auf die Anwendung abzustimmen. „Mehr Autonomie durch eine freiere Navigation ist kein Selbstzweck, sondern sollte dann zum Einsatz kommen, wenn es die Anwendung erfordert.“ Wenn in der klassischen Intralogistik alles weitgehend fix und ortsunveränderlich ist, seien spurgeführte FTS absolut ausreichend.

In anderen intralogistischen Prozessen könnten autonome Funktionen durchaus Sinn ergeben, ergänzt der Safelog-Chef Mathias Behounek: „Im C-Teile-Lager beispielsweise hat man mehr Freiheit. Es gibt häufig kein definiertes Wegenetz, eine frei befahrbare Fläche und die Transportaufgaben sind nicht restriktiv getaktet. Außerdem müssen die Roboter hier mit vielen Menschen interagieren, die z. B. den Fahrweg kreuzen. Hier möchte man eine hohe Flexibilität, auch um die Sicherheit der Mitarbeiter zu garantieren. Dazu braucht man einen höheren Autonomiegrad.“

Interoperabilität steckt noch in den Kinderschuhen

Neben der Frage: „Wie viel Autonomie ist sinnvoll?“ taucht aber noch ein weiteres Problem auf – vor allem je mehr FTS, AMR, autonome Routenzüge oder Gabelstapler sich in den Lager- und Fabrikhallen tummeln. „Die steigende Autonomie in der Navigation der Fahrzeuge macht die intralogistische Verkehrssituation immer komplexer. Die Koordination unterschiedlicher Fahrzeugmarken mit individuellen Steuerungssystemen ist eine Herausforderung für die Anwender“, berichtet Jörg Faber, Sales Director DACH & Benelux beim AMR-Pionier Mobile Industrial Robots:

Die Interoperabilität rückt daher verstärkt ins Blickfeld. Hier gibt es bereits erste Standards (siehe Kasten). „Sowohl der VDA 5050 als auch Massrobotics befinden sich derzeit aber noch in einem frühen Entwicklungsstadium und decken bei Weitem noch nicht die vielen Funktionen ab, die für eine erfolgreiche Multi-Roboter-Installation nötig sind“, berichtet Jörg Faber.

Technisch betrachtet verfügt jeder FTS- oder AMR-Anbieter in der Regel über zwei Arten von Software: die On-Robot-Software, die die robotergestützte Navigation ermöglicht, und die Flottenmanagementsoftware für die Steuerung mehrerer seiner Roboter. „Aufgrund fehlender Standardisierung der Anbietersoftware ist bisher jedoch noch nicht klar, wie unterschiedliche Karten und Konfigurationen von verschiedenen Anbietern in einem Drittsystem verwaltet werden können“, sagt Jörg Faber. „Auch die Datenqualität der einzelnen Flottenmanagementsysteme ist noch nicht einheitlich definiert, sodass sich der Datenaustausch zwischen zwei AMR- oder FTS-Systemen als schwierig erweist. Es wird also noch eine Weile dauern, bis die beiden Standards vollständig ausgereift und einsetzbar sind.“

In naher Zukunft geht Faber daher von einer Koexistenz aus. Das heißt: AMR-Hersteller implementieren Schnittstellen für die Interoperabilität in ihre Systeme und integrieren diese in ein Flottenmanagementsystem eines Drittanbieters. Die herstellerspezifische Roboter- und Flottenmanagementsoftware bleibe aber weiterhin unverzichtbar.

Mitarbeiter möglichst früh in die Projekte miteinbinden

Für Michael Brandl, CEO Operations Software EMEA bei Körber Supply Chain und mit den chinesischen AMR von Geek+ bei der Transportrobotik aktiv, ist ohnehin die Software bei Transportrobotik-Projekten der entscheidende Faktor: „Die Fokussierung sollte nie auf der Hardware liegen. Der Roboter muss nur funktionieren, die Intelligenz steckt in der Software.“

Bedienung, Konfiguration und Pflege von AMR-Systemen unterscheiden sich aus seiner Erfahrung zum Teil erheblich. „Interoperabilität ist zwar prinzipiell gegeben, aber eine heterogene Systemarchitektur erfordert im laufenden Betrieb viel Aufwand und Fachkenntnis.“

Übergreifende Pplattformen, wie Körber sie mit dem Unified Control System UCS anbietet, seien daher sinnvoll, weil sie nicht nur für verschiedene FTS und AMR zentral zusammenführen, sondern beispielsweise auch andere Materialtransportsystemen. Eine solche zentrale Anwendung berge für die Optimierung der Intralogistik ein enormes Potenzial. „Denn Insellösungen sind selten eine gute Lösung – und es macht wenig Sinn, einzelne Prozessschritte effizienter zu gestalten, wenn andere nicht Schritt halten können.“

Und Brandl rät zudem, die Mitarbeiter möglichst früh in die Projekte zur Transportautomation miteinzubinden: „Im Allgemeinen ist die Resonanz auf die robotischen Helfer durchweg positiv. Denn viele Kunden optimieren mithilfe von AMR nicht nur den operativen Ablauf, sondern auch das Mitarbeiterwohlbefinden und reduzieren dadurch nicht nur das Verletzungsrisiko, sondern auch Laufwege und Stresssituationen, ein Win-win für alle.“

https://www.safelog.de; Logimat Halle 6, 6B41

www.mobile-industrial-robots.com; Eingang Ost, EO80

www.koerber-scsoftware.com; Halle 1, 1C34

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