Autonome mobile Roboter (AMR) sind gerade mächtig angesagt. Woher kommt der Hype?
Brandl: Die Logistik bildet in Deutschland nach wie vor den größten Wirtschaftsbereich mit einem geschätzten Marktvolumen von rund 300 Milliarden Euro. In der öffentlichen Wahrnehmung hat die Branche allerdings meist eher als Underdog agiert und das öffentliche Interesse war eher gering. Infolge der globalen Pandemie hat sich diese Wahrnehmung verändert und auch viele Unternehmen haben erkannt, dass den logistischen Geschäftsprozessen eine erfolgskritische Funktion zukommt. Wir erleben aktuell ein Hoch an Investitionen, um sich den neuen logistischen Herausforderungen zu stellen: Das Wachstum im Onlinehandel, der Bedarf nach skalierbaren Lösungen, der Personalmangel, Nachhaltigkeitsaspekte – um nur einige Aspekte zu nennen. Nicht durch Zufall wächst der Robotikmarkt rasant. All die Themen, die in der Logistik in den letzten paar Jahren an Momentum gewonnen haben, lassen sich mit AMR grundsätzlich adressieren.
Hält die tatsächliche Nachfrage aus den Unternehmen der Logistik mit dem AMR-Hype Schritt? Sprich: Ist der Markt groß genug oder wird es zu einer Konsolidierung unter die vielen den AMR-Herstellern kommen?
Brandl: Ganz eindeutig: AMR ist im Markt angekommen. Die Nachfrage nach solchen und ähnlich flexiblen Automatisierungslösungen wächst kontinuierlich. Gleichzeitig beobachten wir, dass die Implementierung solcher Lösungen auch Komplexitäten birgt. Das trifft vor allem auf das Verschmelzen heterogener Software- und Automatisierungslösungen zu, wo entsprechende Integrationskompetenz nötig ist. Unternehmen wollen keine Insellösungen, sondern ganzheitlich integrierte und zukunftssichere Lösungen. Vor diesem Hintergrund ist eine Konsolidierung mehr als wahrscheinlich; zumal von mehr als 1000 Anbietern weltweit etwa zehn Hersteller 50 Prozent des Marktes ausmachen.
Was sind die aktuellen Anforderungen und Herausforderungen der Kunden?
Brandl: Unsere weltweite Supply Chain Benchmarking-Studie hat ein paar interessante Einblicke geliefert. Nur eines von drei Unternehmen verfügt heutzutage über einen angemessenen Personalbestand. 50 Prozent der Stellen müssen alljährlich neu besetzt werden. Ein schauriges Bild. Gleichzeitig nehmen die Digitalisierung und Prozessautomatisierung in einem Großteil der Unternehmen eine strategisch hohe Priorität ein. Entsprechend nahe liegt die Auseinandersetzung mit Lösungen, die mit wenig Aufwand eingeführt, betrieben und skaliert werden können, wie es bei AMR der Fall ist. Die grundsätzlichen Fragen aber sind dieselben wie bei komplexeren Lösungen, da Standardlösungen individuelle Anforderungen schlichtweg nicht abdecken. Unsere Kunden erwarten Antworten auf diese Fragen – und einen Partner, der nicht nur diesen ersten Schritt mit ihnen geht, sondern die gesamte Automatisierungsreise begleitet.
Sie arbeiten seit einiger Zeit mit dem chinesischen AMR-Hersteller Geek+ zusammen? Warum Geek+ und kein europäischer Hersteller?
Brandl: Geek+ ist ein relativ neuer Player im Markt, der allerdings in kürzester Zeit eine bemerkenswerte Marktpräsenz etabliert hat. Während wir auf globaler Ebene mit diesem Partner in zahlreichen Projekten erfolgreich zusammengearbeitet haben, wurden auch in Europa bereits einige nennenswerte Projekte realisiert. Bei einer zunehmenden Zahl von Kooperationsprojekten sind solche Erfahrungswerte unbezahlbar. Hinzu kommt, dass gerade die mit Geek+ vertriebene AMR-Lösung auch wirtschaftlich betrachtet einen relativ einfachen Einstieg in die Robotik ermöglicht. So wird das Thema nicht nur für große, sondern auch mittelständische Unternehmen zunehmend attraktiv.
Wie reagieren die Kunden auf Hightech aus China? Gibt es Vorbehalte?
Brandl: Definitiv nicht. Made in China ist für Hightech-Hardware mittlerweile fast schon zu einem Gütesiegel avanciert, ähnlich wie bei Huawei oder Xiaomi in der Telekommunikation. Der Vergleich hinkt allerdings, da wir in der Logistik in den meisten Fällen von Projekten gänzlich anderer Tragweite sprechen. Die Hardwarewahl gerät fast ins Hintertreffen, wenn es an Themen und Fragen der Systemintegration geht. Hier nimmt Körber in der Funktion eines Generalunternehmers eine Schlüsselrolle ein und agiert als Schnittstelle zwischen Robotikherstellern und Anwendern mit Schwerpunkten im Projektmanagement und der dazugehörigen Softwareintegration. AMR-Projekte über den direkten Weg zum Hersteller entbehren in vielen Fällen einer nahtlosen Integration. Das führt in nicht wenigen Fällen zu Verlusten der Transparenz und mindert dadurch auch die Optimierungsmöglichkeiten, die sich durch eine durchgängige Datenerfassung- und -analyse ergeben.
Wie reagieren eigentlich die Mitarbeiter in den Unternehmen auf die mobilen robotischen Helfer? Gibt es Ängste und Vorbehalte?
Brandl: Unserer Erfahrung nach sollten MitarbeiterInnen möglichst früh in den Prozess involviert werden. Im Allgemeinen ist die Resonanz auf die robotischen Helfer allerdings durchweg positiv. Viele unserer Kunden optimieren mithilfe von AMR nicht nur den operativen Ablauf, sondern auch das allgemeine Mitarbeiterwohlbefinden. Das trifft vor allem auf solche Bereiche zu, in denen manuell anspruchsvolle Tätigkeiten verrichten wurden, die durch den Robotikeinsatz automatisiert werden – und dadurch nicht nur das Verletzungsrisiko, sondern auch Laufwege und Stresssituationen reduzieren. Ein Win-win für alle.
Wie steht es um die Interoperabilität zwischen AMR verschiedener Hersteller bei gemischten Flotten?
Brandl: Es stimmt – Bedienung, Konfiguration und Pflege der AMR-Systeme unterscheiden sich zum Teil erheblich. Die Interoperabilität ist zwar prinzipiell gegeben, aber eine heterogene Systemarchitektur erfordert im laufenden Betrieb viel Aufwand und Fachkenntnis. Unsere einheitliche Steuerungsplattform Unified Control System, kurz UCS, löst diese Problematik auf, indem es unterschiedliche Systeme und Funktionen zentral zusammenführt. Diese herstellerunabhängige Funktionalität ist im Markt bis dato einzigartig und orchestriert verschiedenartige Lagertechnologien – nicht nur Roboter, sondern auch Voice- oder Materialtransportsystemen. Über eine einzige Anwendung werden Aufgaben je nach Eignung, Zielort und aktueller Auslastung automatisch zugewiesen, was für die Optimierung der intralogistischen Prozesse enormes Potenzial mit sich bringt.
Was sind die häufigsten Denkfehler bei AMR Projekten? Auf welche Stolperfallen sollte man achten?
Brandl: Zwei Punkte sind entscheidend: Die erste Stolperfalle liegt in der Fokussierung, die nie auf der Hardwarewahl liegen sollte. Der Roboter muss letztendlich nur funktionieren, die Intelligenz steckt in der Software. Zum Zweiten ist auch Vorsicht gefragt, bevor es überhaupt konkret wird. Insellösungen sind selten eine gute Lösung – und es macht wenig Sinn, einzelne Prozessschritte effizienter zu gestalten, wenn andere nicht Schritt halten können.
Fünf wichtige Tipps zum richtigen Vorgehen bei AMR-Projekten
1. Wissen, wo man steht, wo man hinwill – und wie man hinkommt. Mit anderen Worten: Nicht vom Roboter aus denken, sondern von der Anforderung.
2. Data first: Die Basis für die Wahl der richtigen Technologie und die weitere Projektierung bildet eine solide Datenanalyse.
3. Ganzheitlich denken: Entscheidend für den Erfolg ist das Gesamtsystem – inklusive Systemperipherie(n).
4. Erfolg muss messbar sein. Nachvollziehbare KPIs sind das A und O.
5. Es geht nur zusammen: ein Partner, der den Markt kennt und Erfahrung darin hat, AMR in den Gesamtprozess zu integrieren, ist das Zünglein an der Waage.