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Balluff: „Die Corona-Krise hat uns auch einen Schub gegeben“

100 Jahre Balluff: Katrin Stegmaier-Hermle und Florian Hermle im Interview
Balluff: „Die Corona-Krise hat uns auch einen Schub gegeben“

Anlässlich von Balluffs 100-jährigem Jubiläum sprechen Katrin Stegmaier-Hermle und Florian Hermle über Krisen, Corona, die Digitalisierung und Balluffs Rolle im IIoT. Seit 2010 leiten die Geschwister in der Geschäftsführung die Geschicke des Sensor- und Automatisierungsspezialisten.

Interview: Armin Barnitzke

100 Jahre Balluff. Ein stolzes Jubiläum inmitten der Pandemie – wie fühlt sich das an?

Stegmaier-Hermle: Es macht uns stolz zu sehen, wie sich das Unternehmen in den 100 Jahren entwickelt hat. Angefangen hat ja alles mit meinem Urgroßvater Gebhard Balluff in einer Werkstatt für Fahrräder, Nähmaschinen und Motorräder. Heute sind wir Sensor- und Automatisierungsspezialist – ein Familienunternehmen in vierter Generation, das global tätig ist. Natürlich hatten wir uns das Jubiläumsjahr etwas anders vorgestellt.

Wie haben Sie das Jubiläum denn gefeiert?

Stegmaier-Hermle: Wir haben uns in Bezug auf die Feierlichkeiten angepasst und setzen auch hier konsequent auf den digitalen Austausch. Für uns besteht die Balluff-Historie nicht nur aus vergangenen Meilensteinen, sondern auch aus den vielen Erfolgsgeschichten unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Deshalb haben wir uns entschlossen, diese vielen Geschichten auf einer Jubiläumsseite zu erzählen. Begleitet wird das Ganze durch verschiedene virtuelle Aktionen.

Wie stark trifft Balluff die Corona-Krise?

Stegmaier-Hermle: Die Corona-Pandemie hat auch uns als Unternehmen getroffen und uns viele Steine in den Weg gelegt. Nach dem globalen wirtschaftlichen Stillstand im vergangenen Jahr befinden wir uns heute wieder auf einem starken Wachstumskurs. Das erste Halbjahr 2021 verlief sehr positiv. Und auch für die kommenden Monate stimmt uns die hervorragende Entwicklung des Auftragseingangs optimistisch. Wir sind im vergangenen Jahr wichtige Strukturthemen mutig und konsequent angegangen. Das zahlt sich jetzt während der anziehenden Konjunktur aus.

Sie beide kennen sich ja mit Krisen aus. Inmitten der Finanzkrise hat Balluff den Generationenwechsel vollzogen. Sind die beiden Krisen 2008/2009 und 2020/2021 vergleichbar?

Stegmaier-Hermle: Nein, die beiden Krisen sind meines Erachtens nicht vergleichbar. Der Ursprung der wirtschaftlichen Rezession während der Krise 2008/2009 lag in einem Zusammenbruch des globalen Finanzsystems, dem ein Einbruch der Realwirtschaft und massive staatliche Interventionen folgten. Das war eher eine Finanzkrise, die sich auch auf die Wirtschaft ausgewirkt hat. Die Krise 2020/2021 ist anders, denn die Pandemie betrifft alle Lebensbereiche.

Was heißt das?

Stegmaier-Hermle: Ein Pandemie-Plan war vorher ein theoretisches Papier. Durch die Krise trugen wir nicht nur eine unternehmerische Verantwortung für unsere Mitarbeiter, sondern auch eine gesundheitliche. Die Entscheidungen, die getroffen werden mussten, hatten deshalb eine andere Tragweite. Auch die wirtschaftlichen Auswirkungen waren andere: Globale Lieferketten brachen entweder ganz zusammen oder wurden stark beeinträchtigt, wie wir das derzeit auch auf dem Halbleitermarkt sehen. Regierungen fahren das gesellschaftliche Leben und Teilbereiche der Wirtschaft bewusst herunter und schließen Grenzen, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Auch die Renationalisierung ganzer Wirtschaftszweige bereitet uns Sorgen. Das ist eine Wirtschafts- und Gesellschaftskrise – und zwar von globalem Ausmaß. Noch ist nicht abzusehen, was sich wirklich ändern wird. Da müssen wir alle noch sehr wachsam sein und gemeinsam an der Überwindung der Krise arbeiten.

Was haben Sie 2008/2009 gelernt?

Stegmaier-Hermle: Wir haben damals schnell gelernt, dass wir uns auf unsere Mannschaft verlassen können und dass diese uns vertraut. Dieses Vertrauen hat uns auch jetzt geholfen, das Unternehmen gemeinsam mit dem Betriebsrat und den Beschäftigten durch die Krise zu manövrieren. Denn die verschiedenen Instrumente zum Umgang mit einem konjunkturellen Einbruch hatten wir bereits erprobt und so konnten wir aus den Erfahrungen der Finanzkrise lernen.

Und was haben Sie jetzt gelernt?

Stegmaier-Hermle: Die Krise hat uns in manchen Bereichen auch einen Schub gegeben. Wir waren gezwungen, uns anzupassen. Dinge anzugehen, die wir aus Gewohnheit und auch aus Bequemlichkeit vermutlich nicht angegangen wären. Oder Altbewährtes auf den Prüfstand zu stellen. Hier sehe ich vor allem das Thema globale Zusammenarbeit. Die Kommunikation innerhalb der global aufgestellten Teams ist durch die weltweite Umstellung auf Microsoft Teams leichter. Gleichzeitig ist der Austausch intensiver geworden.

Inwiefern?

Stegmaier-Hermle: Die Kolleginnen und Kollegen sind sich näher als zuvor: Jeder ist nur einen Klick entfernt. Auch das Thema Mobiles Arbeiten haben wir konsequent für uns genutzt. In Zukunft setzen wir mit unserem Neubau in der Schurwaldstraße auf ein modernes, offenes und flexibles Konzept der Zusammenarbeit. Das ursprüngliche Konzept aus dem Jahr 2018 haben wir durch unsere Erfahrungen in der Pandemie noch einmal weiterentwickelt.

Auf Ihrer Jubiläumswebseite präsentieren Sie sich modern, global und digital. Wie schafft man den Spagat zwischen „Familienunternehmen“ und „Global Player des IIoT“?

Stegmaier-Hermle: Ich persönlich sehe darin gar keinen Spagat. Als Familienunternehmen richten wir uns an unseren gemeinsamen Werten aus. Ich als Geschäftsführerin genauso wie meine Kolleginnen und Kollegen weltweit. Wir leben Offenheit und Agilität, sind engagiert für unsere Kunden und im Team. Wir streben immer nach neuen fortschrittlichen Lösungen – egal, ob wir hier in Neuhausen sitzen oder in Chengdu. Es gibt ja auch viele Familien, deren Mitglieder inzwischen weltweit verteilt leben. Dennoch ist man sich sehr vertraut und nah – das gibt eine ganz besondere Stärke, die man zum Beispiel in so schwierigen Zeiten wie der Coronakrise unbedingt braucht.

Im Sommer 2020 haben Sie die Verlagerung der Produktion von Neuhausen nach Ungarn angekündigt. Wie schmerzhaft war das?

Stegmaier-Hermle: Die Entscheidung ist uns schwergefallen. Als global aufgestelltes Unternehmen, das global entwickelt, global produziert und globale Kunden betreut und beliefert, müssen wir unsere Aufstellung immer wieder überprüfen, um die Rollen der Standorte für die Balluff-Gruppe bestmöglich umzusetzen. Damit haben wir nicht nur auf eine konjunkturelle Schwächephase reagiert, sondern uns strukturell neu aufgestellt. Diese Entwicklung soll langfristig wirken.

Apropos Aufstellung: Was ist Balluff heute: Ein Sensorspezialist? Ein Automatisierungsspezialist? Ein IIoT Spezialist?

Hermle: Balluff ist ein Sensor- und Automatisierungsspezialist mit einem großen Branchenverständnis, einem breiten Produktportfolio und Know-how in der Software-Entwicklung. Alle drei Fragen würde ich also mit Ja beantworten.

Sehen Sie sich im IIoT eher als Datenlieferant oder als Datenauswerter?

Hermle: Für uns beginnt das Industrial Internet of Things mit dem Sensor. Denn dieser erfasst die Daten, die dann weitertransportiert, verarbeitet und in übergeordneten Systemen ausgewertet werden. Ohne diese Daten ist eine Automatisierung nicht möglich. Unsere Sensoren bestimmen dadurch maßgeblich mit, welche Daten der Anlage später ausgewertet werden können. Unsere Aufgabe ist es, Lösungen zu entwickeln, die sich perfekt integrieren lassen, die richtigen Daten erfassen und diese einfach auswertbar machen.

Und wie kann man als Datenauswerter gegen Größen wie SAP und Microsoft bestehen?

Hermle: Indem wir smarte Lösungen wie beispielsweise den Balluff Condition Monitoring Sensor, kurz BCM, entwickeln. Dieses Multitalent erfasst mehrere Zustände wie Luftdruck, Vibration, Temperatur und Luftfeuchtigkeit gleichzeitig und liefert so wertvolle Daten für die Zustandsüberwachung oder Predictive Maintenance. Wir kennen die Applikationen unserer Kunden aus den unterschiedlichsten Branchen. Dieses Wissen hilft uns, Lösungen zu entwickeln, die einen echten Mehrwert bieten. Beim BCM beispielsweise kann die Zahl der benötigten Sensoren reduziert werden – und das, obwohl die Möglichkeiten zur Daten-Auswertung der Anlage verbessert wird. Das spart Zeit und mit der Lösung lassen sich Ausfallzeiten reduzieren. Das ist smart.

Sie betonen ja stets, dass Software immer wichtiger für Sie wird: Wie kommen Sie mit dem Software-Ausbau voran?

Hermle: Software ist ein integraler Bestandteil guter Automatisierungslösungen. Viele Produkte kommen ohne Software gar nicht mehr aus. Das heißt, unsere Produkte werden immer software-lastiger. Deshalb müssen wir auch die Art und Weise ändern, wie wir Produkte entwickeln. Denn der große Unterschied zur klassischen Produktentwicklung ist, dass sich Software kontinuierlich weiterentwickelt und eigentlich ja nie fertig ist. Das stellt für uns immer noch die größte Lernkurve dar. Dafür muss man die richtigen Strukturen schaffen, um den Software-Entwicklungsprozess optimal zu unterstützen. Durch unseren neuen Kollegen Hubertus Breier, unseren Leiter der Technology Division, sind wir hier auch noch einmal unglaublich vorangekommen. Gemeinsam forcieren wir den Aufbau der Organisation von Hardware- und reiner Softwareentwicklung.

Und wie sorgen Sie für die nötige Agilität im Software-Geschäft?

Hermle: Durch unser strategisches Inkubationsprogramm: Das Portable Monitoring System für die Zustandsüberwachung von Produktionsanlagen und das Smart Reordering System für die automatische Überwachung des Materialflusses sind die ersten beiden von mehreren Lösungen, die aus diesem strategischen Inkubationsprogramm hervorgegangen sind. Seit 2020 arbeiten die Teams nach Lean-Start-up-Prinzipien: ohne starre Rollenbeschreibungen oder Prozesse, dafür agil und im engen Austausch mit den Kunden.

Was ist das Ziel des Programms?

Hermle: Die Inkubationsprogramme konzentrieren sich auf Lösungen für die intelligente Überwachung von Maschinen und Anlagen, auf Systeme zur Zustandsüberwachung und Formatverstellung sowie auf Verfahren für maschinelles Lernen. Diese Art der Zusammenarbeit hilft uns, schneller zu sein. Gleichzeitig sind wir noch näher an unseren Kunden und liefern, was sie wirklich benötigen.

Was sind Ihre nächsten Schritte in Sachen Digitalisierung / IIoT?

Hermle: Mittlerweile arbeiten bei uns weltweit mehr als 100 Software-Experten an der Entwicklung passender Lösungen für das Industrial Internet of Things. Bei der hardwarenahen Software stehen wir heute schon ausgezeichnet da. Die reine Softwareentwicklung wollen wir in Zukunft weiter ausbauen. Ein gutes Beispiel dafür ist unser Balluff Engineering Tool. Erstmalig bieten wir ein rein lizenzbasiertes Software-Produkt an, das den Einsatz von IO-Link-Geräten erleichtert. Wir werden weiterhin Hardware verkaufen und das wird ein Großteil unseres Geschäfts sein. Ich bin mir aber auch sicher, dass wir mehr Hardware verkaufen, wenn wir gute Software in und zu den Produkten anbieten können.

Wieso?

Hermle: Durch die Software sollen die Daten, wenn gewünscht, einfach für übergeordnete Systeme zugänglich sein. So werden aus den Daten wertvolle Informationen, die wir gemeinsam mit unseren Kunden nutzbar machen und analysieren und auf deren Basis Entscheidungen getroffen werden. Unsere Softwarekompetenz und die Fähigkeit, smarte Hardware durch Software-Updates zu aktualisieren, sind extrem wichtig. Vor allem, wenn man die Informationssicherheit betrachtet. Als Tesla-Fahrer ist es für mich normal geworden, dass mich das Auto über ein neues Software-Update informiert. Aktualisierungen werden auch für unsere Hardware relevanter werden – wenn auch in einer geringeren Frequenz. Für Security-Themen müssen wir unseren Kunden Updates over the air aufspielen können. Hier allerhöchsten Standards gerecht zu werden, ist auch ein USP für uns als Firma. Und genau dafür die Strukturen zu schaffen und Menschen zu gewinnen, die diese Kompetenzen mitbringen, ist eine unserer zentralen Aufgaben für die Zukunft.

Balluff GmbH

Schurwaldstraße 9

73765 Neuhausen a.d.F.

balluff@balluff.de

www.balluff.com

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