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ABB: „Wir wollen die Robotik auch in Zukunft prägen“

Jörg Rommelfanger, Leiter der Robotics-Division von ABB in Deutschland, im Jubiläums-Interview
ABB: „Wir wollen die Robotik auch in Zukunft prägen“

ABB: „Wir wollen die Robotik auch in Zukunft prägen“
Jörg Rommelfanger, Leiter der Robotics-Division von ABB in Deutschland: „Für uns bei ABB ist vor allem die einfache Bedienung und Programmierung von Robotern ein Anliegen.“ Bild: ABB
50 Jahre Robotik feiert ABB dieses Jahr. Im Interview spricht Jörg Rommelfanger, Leiter der ABB-Robotics-Division in Deutschland, über Highlights und Entwicklungen. Seine Prognose: „In nicht allzu ferner Zukunft werden Roboter am Arbeitsplatz so normal sein wie Laptop oder Smartphone.“

Interview: Armin Barnitzke

ABB war ja ursprünglich ein Maschinenbau- und Elektronikkonzern. Wie ist ABB eigentlich zu Robotik gekommen?

Rommelfanger: Das haben wir vor allem unserem damaligen Vorstand zu verdanken. Curt Nicolin erkannte schon Anfang der 70er Jahre das Potenzial von Industrierobotern und wollte ABB zu einem Vorreiter in dem Bereich machen. Er holte den Ingenieur Björn Weichbrodt ins Boot. Weichbrodt wiederum verfolgte die Anfänge der Mikroprozessortechnologie mit großem Interesse und beschloss, basierend darauf einen Roboter zu entwickeln. 1974 stellte er mit seinem Team den IRB 6 vor – den ersten Roboter mit elektrischem Antrieb.

Der IRB 6 war der erste von vielen ABB-Robotern, die die Industrie nachhaltig verändern sollten. Was machte ihn so besonders?

Rommelfanger: Bis 1974 wurden nur hydraulische Roboter in der Industrie eingesetzt. Sie waren laut, beanspruchten viel Platz und waren nicht zu filigranen Arbeiten fähig. Die kompakte Bauweise des IRB 6 war platzsparend und die Steuerung per Mikrocomputer ermöglichte eine präzise und flexible Kontrolle. Mit diesen Vorteilen ebnete ABB, damals noch ASEA, den Weg für eine neue Ära der Industrieautomation. Den ersten Praxiseinsatz erfuhr der IRB 6 bei der schwedischen Firma Magnussen, wo er das Polieren von Edelstahlrohren automatisiert hat; eine bei Mitarbeitenden besonders unbeliebte Aufgabe, weil staubig und anstrengend.

Seitdem hat sich die Robotik-Branche stark gewandelt. Roboter sind längst ein fester Bestandteil in Fertigung und Intralogistik. Wo hat ABB dabei Meilensteine gesetzt?

Rommelfanger: Neben dem IRB 6 als erstem vollelektrischen Roboter ist die Einführung des IRB 340 Flexpicker im Jahr 1998 ein gutes Beispiel für unseren Innovationsgeist. Diesen Deltaroboter haben wir speziell für das Sortieren und Verpacken von kleinen, leichten Gegenständen entwickelt, da besonders in der Elektronik- und Nahrungsmittelbranche der Wunsch nach einem Robotikeinsatz am Fließband laut wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt konnten Roboter dort nicht mit der menschlichen Produktivität mithalten. Der FlexPicker überzeugte mit einer Beschleunigung von 10 G und 150 Handhabungen in der Minute und legte damit den Grundstein für die Automatisierung am Fließband. Aufgrund ihrer außergewöhnlichen Bewegungssteuerung, kurzen Zykluszeiten und höchster Genauigkeit können Roboter des Typs FlexPicker mit Hochgeschwindigkeit sowohl in engen als auch in großen Räumen arbeiten.

Das war aber bestimmt nicht der einzige Meilenstein, oder?

Rommelfanger: Nein, natürlich nicht. Ein weiterer Meilenstein für uns folgte 2015 mit der Einführung von YuMi, dem ersten wirklich kollaborativen Zweiarm-Roboter (Cobot). Cobots sind für die direkte Zusammenarbeit mit Menschen konzipiert, die Sicherheit steht deshalb an erster Stelle. Sie werden auch in Zukunft eine große Rolle bei der Automatisierung spielen. 2021 haben wir unser Cobot-Portfolio durch die Produktfamilien Swifti und Gofa erweitert.

Aber nicht nur die Hardware hat sich in der Robotik entwickelt, sondern auch in der Steuerung und Programmierung gab es über die Jahre hinweg Fortschritte, oder?

Rommelfanger: Klar. In den späten 1990ern haben wir unseren Kunden mit RobotStudio ein Offline-Programmierungstool zur Verfügung gestellt, das die Planung, Programmierung und das Testen ihrer Robotersysteme vereinfacht. Durch die Visualisierung können sie Simulationen ausführen, ohne die Fertigung dabei unterbrechen zu müssen. Das Tool verfügt außerdem über Virtual- und Augmented-Reality-Technologien und ist mittlerweile das weltweit meistgenutzte Offline-Programmiertool. Bertil Thorvaldsson, der Begründer der Software, wurde 2022 für seine Arbeit mit dem „Engelberger Robotics Award for Leadership“ ausgezeichnet. Er war übrigens ebenso Teil des Entwickler-Teams für den IRB 6 im Jahr 1974.

Und an was arbeiten Sie heute?

Rommelfanger: Aktuell haben wir unseren ersten autonomen mobilen Roboter Flexley Tug T702 mit KI-basierter Visual-SLAM-Navigationstechnologie (Visual Simultaneous Localization and Mapping) vorgestellt. Visual-SLAM kombiniert KI mit 3D-Bildverarbeitung und ermöglicht es AMRs, feste und mobile Objekte in dynamischen Umgebungen zu unterscheiden und intelligente Entscheidungen zu treffen. Mithilfe der Technologie können die Roboter eine Karte erstellen, die sie dann nutzen, um unabhängig zu agieren. Das verkürzt die Inbetriebnahmezeit auf wenige Tage und ermöglicht einen vollständig autonomen Betrieb in hochkomplexen, dynamischen Umgebungen an der Seite von Menschen.

Das sind beeindruckende Innovationen. Doch wie hat sich die Robotik-Technik allgemein in den 50 Jahren verändert?

Rommelfanger: Die Branche hat sich seit den 70ern stark verändert. Früher wurden Roboter meist vereinzelt für relativ einfache und monotone Aufgaben eingesetzt. Heute setzen wir Roboter nicht mehr punktuell ein, sondern in synchronisierten Systemen aus mehreren Robotern, die komplexe Aufgaben lösen können und eine flexible Produktion ermöglichen. Dafür benötigen moderne Roboter zum einen mehr und zum anderen neue Schnittstellen, um miteinander aber auch mit Menschen kommunizieren zu können. Zudem hat sich die Antriebstechnik stark gewandelt: Der Wechsel von hydraulischen auf elektrische Antriebe hat die Erschließung neuer Anwendungsbereiche ermöglicht. Und auch der Wechsel von Gleichstrom- zu Wechselstrommotoren hat die Robotik-Branche stark verändert. Wechselstrommotoren bieten ein höheres Drehmoment und müssen weniger oft gewartet werden. Sie verfügen über eine längere Lebensdauer und benötigen weniger Platz.

Sind manche Dinge auch gleich geblieben?

Rommelfanger: Auf jeden Fall! Die menschenähnliche Kinematik mit Drehgelenken des IRB 6 war derart erfolgreich, dass sie sich noch heute in der Bauweise unserer Roboter wiederfindet. Wir haben lediglich den Arbeitsbereich vergrößert, die Standfläche verkleinert und Geschwindigkeit, Genauigkeit und Raumnutzung verbessert, um die Roboter an heutige Anforderungen anzupassen.

Und wie haben sich die Anwenderbranchen und Anwenderbedürfnisse verändert?

Rommelfanger: Innovationen wie der FlexPicker haben die Anwendung von Robotik in bestimmten Anwendungen überhaupt erst ermöglicht. Heute sind wir in der Lage, Branchen bei der Automatisierung zu unterstützen, die dafür zunächst nicht prädestiniert waren, wie zum Beispiel die Baubranche oder in Laboren. Generell haben sich die Bedürfnisse unserer Kunden aber kaum verändert: Sie brauchen Roboter, die schnell und sicher sind. Und sie wünschen sich mehr Flexibilität – sei es durch einen größeren Bewegungsradius, mobile Roboter oder eine einfachere Programmierung.

Was bedeutet das für Sie? Mit welchen Themen, Entwicklungen und Technologien setzt sich ABB im Moment auseinander?

Rommelfanger: Wir arbeiten weiter am Ausbau unseres Angebots an einfach zu integrierenden Automatisierungslösungen. Die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine wird in Zukunft weiterhin an Bedeutung gewinnen und dabei spielen vor allem Mobilität und Sicherheit eine Rolle. Nachhaltigkeit beschäftigt uns natürlich auch. Wir kaufen jedes Jahr eine große Anzahl an Robotern zurück, bereiten diese auf und schenken ihnen so ein zweites Leben. Aber auch unsere neuen Produkte sind energieeffizienter und emissionsärmer. Für uns bei ABB ist aber vor allem die einfache Bedienung und Programmierung von Robotern ein Anliegen.

Wieso das?

Rommelfanger: Ganz einfach. Wir möchten die Hürden besonders für Einsteiger und KMU senken, damit auch kleinere Unternehmen die Vorteile von Robotik nutzen können, ohne dafür Fachpersonal einstellen zu müssen. Roboter lassen sich heutzutage bereits schneller und einfacher integrieren und flexibler einsetzen. Zudem erfordern beispielsweise unsere Cobots keinerlei Vorkenntnisse oder besondere Schulung und lassen sich direkt nach dem Auspacken installieren und – wie ein Tablet – einfach programmieren. Das eröffnet neue Felder und erleichtert die Automatisierung von Prozessen. In nicht allzu ferner Zukunft werden Roboter am Arbeitsplatz ebenso normal sein wie ein Laptop oder Smartphone. Je früher wir deshalb die nächste Generation von Robotik begeistern können, desto besser.

Was können wir in Zukunft von der Robotik erwarten? Und welche Rolle spielt KI dabei?

Rommelfanger: Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) wird die Branche stark verändern. KI verbessert die Fähigkeit zum Greifen, Aufnehmen und Absetzen von Objekten, und ermöglicht so den Einsatz von Robotern in dynamischen und unstrukturierten Umgebungen. KI ermöglicht außerdem die autonome Mobilität von Robotern und hebt damit sowohl kollaborative Einsätze an der Seite von Menschen als auch die Produktion auf ein neues Level. Im Moment sind Roboter meist so programmiert, dass sie anhalten, wenn ein Mensch in der Nähe ist. In Zukunft können Roboter einfach um Menschen herum navigieren, auch wenn diese in Bewegung sind. Die koordinierte Zusammenarbeit zwischen Robotern wird sich auch auf die Produktion auswirken. Denn die Industrie entwickelt sich immer weiter weg von linearen, starren Produktionsstraßen hin zu dynamischen Netzwerken, die schnell und flexibel angepasst werden können.

Und wie kann KI zur Vereinfachung der Robotik beitragen?

Rommelfanger: Auch im Bereich Programmierung senkt der Einsatz von Künstlicher Intelligenz Einstiegshürden, weil sie die Programmierung in natürlicher Sprache unterstützt. Unternehmen benötigen keine Robotik-Experten mehr, um Roboter zu bedienen. Kurzum eröffnet die KI in der Robotik ganz neue Möglichkeiten. Und wir bei ABB haben fest vor, dieses Potenzial voll auszuschöpfen und die Robotik-Branche auch in Zukunft zu prägen.

ABB AG

abb.de/robotics


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