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Als Gründer eines Robotik-Start-ups ist Ronnie Vuine eigentlich fast schon ein Exot. Denn mit seinem Magister in Philosophie und Informatik an der Humboldt-Universität in Berlin war ja eine Karriere in der Industrieautomation nicht unbedingt vorgezeichnet. Dass er überhaupt ein Start-up gegründet hat, begründet Vuine mit einem „Schlüsselerlebnis“ als Student: „Ich habe damals schon immer als Softwareentwickler gearbeitet, auch für große deutsche Konzerne.“ Dabei musste er erleben, wie er von fachlich schwachen Vorgesetzten herumgeschubst wurde und ihm war klar: „Es geht gerade nur um Macht.“
Damit sein Berufsleben später nicht aus solchen Momenten besteht, habe ihm damals ein Freund aus Schülerzeitungstagen, inzwischen Analyst bei einer Münchner Venture Capital Firma, gezeigt, wie VC-finanzierte Gründungen funktionieren, berichtet Vuine. Dabei stand aber noch nicht von Anfang an die Robotik im Vordergrund. „Wir gehen ja auf eine studentische Arbeitsgruppe zurück, und dort wollten wir vor allem verstehen, wie Intelligenz funktioniert“, erinnert sich Vuine.
Wie Intelligenz funktioniert
Und das findet man natürlich am besten heraus, indem man versucht, selbst etwas Intelligentes zu bauen. „Dabei fällt schnell auf: Es kommt nicht auf die verwendete Technologie an, sondern ob ein System anpassungsfähig ist, also später noch dazulernen kann.“ Dieses Interesse für Systeme, die in der Praxis dazulernen können, habe er dann in das neu gegründete Unternehmen mitgenommen, so Vuine: „Und es war ein früher Investor, der uns gesagt hat: Guckt Euch mal die Industrierobotik an, ich glaube, da macht das noch niemand. Und zu unserer kompletten Überraschung war das wirklich so!“
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Daher ist er zu potenziellen Kunden gefahren, hat sich die Fertigung zeigen lassen und gefragt: „Warum steht da ein Mensch und kein Roboter? Was müsste ein Standard-Industrieroboter können, um diese Aufgabe machen zu können?“ Das Fazit aus all diesen Gesprächen: „Roboter lösen ihr Flexibilitätsversprechen oft schlecht ein. Aber das ist ein Softwareproblem, und damit lösbar für uns!“ Also hat sich Vuine mit Micropsi Industries und der Software Mirai der Hand-Auge-Koordination von Robotern verschrieben.
Kontinuierlich nachregeln
Wie Mirai genau funktioniert, erklärt Vuine mit einer Analogie: „Stellen Sie sich vor, Sie wollen mit einem Roboter ein Kabel in ein Mobiltelefon einstecken. Um das zu lösen, versucht man bislang, die Position des Telefons im Raum möglichst genau zu messen, zum Beispiel mit einer 3D-Kamera und einem 3D-Modell des Telefons. Und dann macht man mit einem ultra-präzise gegriffenen Stecker – was auch schon schwer zu machen ist – eine Zustellbewegung. Das ist aufwendig und fragil, weil jeder kleine Messfehler dazu führt, dass die Aufgabe nicht gelöst wird.“
Ein Mensch sei dagegen sehr gut im Kabeleinstecken – obwohl er weder die Bewegungsgenauigkeit eines Industrieroboters besitze noch eine präzise Messung der Position des Telefons im Koordinatensystem des Arms machen könne. Warum der Mensch das dann trotzdem so viel besser kann als ein Roboter? Vuine gibt die Antwort: „Es genügt eigentlich zu wissen, wie man sich mit dem Kabel relativ zum Ziel bewegen muss. Wenn man dann kontinuierlich nachregelt und vielleicht sogar die Augen am Handgelenk hat, kann man eine Genauigkeit und Zuverlässigkeit erreichen, die beim Messen kaum denkbar gewesen wären.“
Jede Bewegung abschauen
Und das Tolle: Dieser Ansatz funktioniert nicht nur beim Kabelstecken. „Unser System kann sich jede Form der Bewegung, die man ihm durch Vormachen zeigen kann, abschauen und dann selbstständig ausführen.“ Entsprechend vielfältig sind die Anwendungen von Mirai – was übrigens sowohl ein Akronym für „Micropsi Industries Robot AI“ ist als auch für das japanische Wort für „Zukunft“ steht: „Unsere Kunden machen viel Handling und Montage mit Mirai, aber auch Messanwendungen, bei denen beispielsweise Sonden an vorher nicht genau bekannten Stellen Tests durchführen müssen.”
Beim Handling reiche das Anwendungsspektrum von einfachen Picking-Aufgaben bis zu „ziemlicher Zauberei, beispielsweise beim Einhängen von Federn in Gestelle, wo alles schwingt und vibriert.“ Vuine gerät regelrecht ins Schwärmen: „Unsere Kunden überraschen uns immer wieder mit Anwendungen. Letztes Jahr hat ein Möbelhersteller Reißverschlüsse von Kissen zugemacht mit Mirai. An so etwas hätte ohne uns niemand auch nur zu denken gewagt. Unsere Kunden ziehen flexible Gummiteile durch Öffnungen, finden frei im Raum baumelnde Hochvolt-Stecker und stecken die ein, oder messen oder montieren Teile in Bewegung, ohne dass Roboter und Band synchronisiert werden müssen dafür.“
Potenzial in jeder Fabrik
Wann immer man ein Werkzeug oder ein Teil irgendwo hinbringen oder langführen wolle, auch wenn sich im Arbeitsbereich was bewegt oder verändert, könne man das mit Mirai lösen. Entsprechend groß sei das Potenzial für Micropsi: „In Deutschland gibt es für uns in quasi jeder Fabrik eine Anwendung, die sich rechnet.“
Groß sei das Potenzial gerade auch bei Kunden, die noch nicht so viel Erfahrung mit Automation haben. „Diese Kunden brauchen aber oft länger als nötig, um Roboteranwendungen zum Laufen zu bringen.“ Verantwortlich für langsame Implementationen sei aber meist nicht die KI, sondern die inhärente Komplexität von Automatisierungsaufgaben von der mechanischen Konstruktion bis zur Programmierung von Robotern. „Wir könnten um ein Vielfaches schneller wachsen, hätten mehr Kunden das generelle Robotik-Know-how schon aufgebaut und entsprechende Kapazitäten frei.“ Um die Potenziale für Mirai besser ausschöpfen zu können, will Micropsi die Kunden bei Robotikprojekten in Zukunft noch mehr unterstützen, kündigt Vuine an.
Bösl bringt Robotik-Erfahrung mit
Um das Potenzial von Mirai und Micropsi noch besser auf die Straße zu bringen, hat sich Vuine Anfang 2022 im Management verstärkt und mit Dominik Bösl einen erfahrenen Robotik-Experten und langjährigen Kuka-Manager als Co-Geschäftsführer an Bord geholt. „In den frühen Tagen war es unsere Stärke, dass wir in der Robotik als KI-ler solche Sonderlinge waren“, begründet Vuine dies. „Aber als wir mit zunehmender Größe auch mehr Management-Kapazität gebraucht haben, war es für uns klar, dass wir einen Profi an Bord holen. Und Dominik ist ja außerdem Informatiker, er denkt über Robotik also von jeher als Softwareproblem nach.“ Dominik Bösl kümmert sich daher nun um die Abteilungen, die das Produkt Mirai weiterentwickeln, während sich Ronnie Vuine ums Kommerzielle und Operative kümmert. „Wir machen das aber bewusst sehr durchlässig.“
KI ändert mehr, als man denkt
Vuines Wachstumsziele sind – neben den deutschen Fabriken und Robotikeinsteigern – auch international ambitioniert: „Unser Amerikageschäft lief 2022 schon so gut wie das deutsche, da werden wir dranbleiben.“ Zukäufe für mehr Umsatzwachstum seien dagegen kein Thema. „Unser Segment ist noch zu frisch und unbesetzt.“ Allerdings sei Micropsi eben doch sehr technologiefokussiert. „Es gibt einige Sachen, von denen denke ich, wir sollten die können, und da stellt sich die Build-or-Buy-Frage manchmal durchaus.“
Denn sonnenklar ist für Vuine eines: Die KI werde für die Zukunft der Robotik eine bedeutende Rolle spielen: „KI kommt langsamer als alle denken, aber ändert dann sehr viel mehr, als man absehen kann.“ Vuine ist überzeugt, dass Micropsis Art, Roboter zu steuern, – also end-to-end aus Sensordaten und lernend – für die Zukunft die einzig richtige ist. „Man kann sich ja gar keine Welt voller Roboter vorstellen, in der die Roboter in einem festen Koordinatensystem auf Position geregelt werden. Das ergibt einfach keinen Sinn.“
Micropsi Industries GmbH
https://www.micropsi-industries.com
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