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„So revolutioniert KI die Roboterprogrammierung“

Nikolai Ensslen, CEO, Synapticon GmbH
„So revolutioniert KI die Roboterprogrammierung“

Wie KI-Modelle die Roboterprogrammierung revolutionieren, warum diese am besten auch in der Hardware abgebildet werden sollten und wie man dabei für Sicherheit sorgt, erläutert Nikolai Ensslen, CEO des Robotik- und Integrated-Motion-Spezialisten Synapticon.

Interview: Michael Corban/Armin Barnitzke

Sie haben kürzlich die neue Geschäftseinheit Synapticon Intelligence gegründet, die Beratungs- und Supportdienste rund um die KI-Integration anbietet. Warum?

Ensslen: Die Beherrschung neuer KI-Technologien wird für Maschinenbauer und Roboterhersteller zu einer zukunftskritischen Kompetenz. Dies erfordert jedoch nicht nur tiefes technologisches Können, sondern auch ein kreatives Verständnis dafür, wie diese Innovationen genutzt werden können. Dieser KI-Wandel betrifft nicht nur die Softwarearchitekturen, sondern auch die Hardware, wo neuromorphes Computing und andere Technologien eingesetzt werden, die besser für die Anforderungen der KI geeignet sind.

Was ist neuromorphes Computing?

Ensslen: Das große Ziel beim neuromorphen Computing ist es, die Funktionsweise des Gehirns als Vorbild für innovative Computerarchitekturen zu nehmen, die wesentlich effizienter arbeiten als konventionelle Rechner mit herkömmlichen CPUs. Für das neuromorphe Computing benötigt man Prozessoren, deren Hardware für das jeweilige mathematische Problem und neuronale Netzwerke optimiert ist. Nehmen Sie nur den Erfolg von Nvidia, die mit ihren Chips KI-Berechnungen viel effizienter durchführen können – auch wenn es sich dabei nicht um echtes neuromorphes Computing handelt, sondern nur um Grafikprozessoren, die Parallel-Daten viel schneller berechnen können. Auch der Dojo-Prozessor von Tesla, der das autonome Fahren verbessern soll, ist übrigens ein Schritt in Richtung neuromorphes Computing.

Wird das KI-Computing also klassische CPU-basierte Steuerungsarchitekturen komplett ablösen?

Ensslen: Nein. Diese Chips werden vor allem für das Training der neuronalen Netze benötigt. Für die Ausführung braucht man gar nicht so viel Rechenleistung. Und wenn ein Prozessor ein neuronales Netzwerk direkt in Hardware abbildet, kann darauf zum Beispiel kein Betriebssystem laufen. Solche KI-Beschleunigungsprozessoren werden also als Ergänzung zu einer CPU eingesetzt.

Wird künftig jede Robotersteuerung und jede Maschinensteuerung also zusätzlich einen KI-Chip implementiert haben?

Ensslen: Es muss sich erst noch herausstellen, wie groß die Vorteile tatsächlich sind. Zumal der Erfolg von Nvidia ja vor allem auf dem begleitenden Software-Ökosystem basiert, das es einfach macht, Software für deren KI-Hardware zu schreiben. Nvidias Groot Foundation Model beispielsweise verbindet Sprachmodelle und Action-Modelle. Technologisch wäre es aber auf jeden Fall sehr wünschenswert, wenn wir nicht überall nur Intel-Prozessoren hätten, die eigentlich suboptimal für die Parallelisierung sind.

Wären wir damit auf dem Weg zu einer echten künstlichen Intelligenz?

Ensslen: Was ist echte Intelligenz? Letztlich profitieren Large Language Models wie ChatGPT ja von den stark gestiegenen Rechenleistungen. Im Grunde sind das einfach riesige Netzwerke mit Milliarden von Parametern und dennoch resultieren daraus diese erstaunlichen Effekte, dass man den Eindruck von Intelligenz hat, obwohl es nur eine Wahrscheinlichkeitsantwort auf das Eingegebene ist. Aber es fehlt die Problemlösungsfähigkeit, die uns Menschen auszeichnet. Wir können Aufgaben auch mit minimaler Information erledigen, weil wir innerhalb kürzester Zeit antizipieren können, ohne davor mit massiven Daten trainiert zu werden.

Und wie kann KI helfen, die Roboterprogrammierung zu vereinfachen?

Ensslen: Der Roboter lernt künftig durch Zuschauen. Die KI-Technologie hilft damit bei der Abstraktion von Komplexität. Ein humanoider Roboter hat ja bis zu 70 Freiheitsgrade sowie bis zu 20 Kameras und Sensoren. Bewegungen hier traditionell diskret zu programmieren, ist extrem schwierig. KI vereinfacht das enorm, weil die Software quasi als Bindeglied zwischen der Kamera, die die Bewegungen beobachtet, und der komplexen Kinematik sitzt und so die Komplexität der Kinematik abstrahiert. Das KI-Modell findet selbst heraus, wie es Videotrainings in Bewegungen übersetzt.

Geht es bei der KI-Programmierung nur um humanoide Roboter oder sehen Sie auch in der normalen Robotik Anwendungsfälle?

Ensslen: Natürlich hat bei humanoiden Robotern die Abstraktion der Komplexität durch die KI einen besonders großen Effekt. Aber im Grunde spielt es keine Rolle, ob es sich um einen humanoiden Roboter handelt oder um eine einfachere Kinematik wie einen 6-Achs-Roboter oder Cobot. Ich muss künftig auch einen Industrieroboter nicht mehr diskret mit dem Teach Pendant in der Hand programmieren. Das kann durch KI viel einfacher werden: Man sagt dem Roboter einfach „Räum die Keksdose in die Kiste“ und dank KI kann der Roboter verstehen, was ich mit Keksdose und Kiste meine und die Handlung ausführen. Die Roboterprogrammierung wird durch die Kombination von Language Models und Action Models sehr stark vereinfacht. Das haben Pioniere wie Neura Robotics erkannt und Kameras oder Sprachinterface direkt in ihre kognitiven Roboter eingebaut.

Wird der Roboter künftig nur noch durch Vormachen und via Sprache programmiert?

Ensslen: Das kommt darauf an und hängt stark vom Anwendungsfall ab: Bestimmte Anwendungen profitieren davon, wenn man niemanden mehr braucht, der sich zuvor mit der Programmierung des Roboters beschäftigt hat. Etwa beim Palettieren, wo man dem Roboter nur noch sagt „Räum die Palette ab und pack die Kartons aufs Fließband.“ Hier eignet sich der adaptive KI-basierte Ansatz, weil das Abräumen einer Palette einerseits nicht so viel Präzision erfordert, die Anwendung aber andererseits oft recht dynamisch ist, weil sich Produkte und Umgebungsbedingungen ändern.

Es gibt also Anwendungsfälle, wo es schwerer vorstellbar ist, dass man mit einem Sprachbefehl den Roboter sinnvoll programmiert?

Ensslen: Natürlich. Etwa wenn es in der Automobilfabrik darum geht, eine Schweißnaht zuverlässig und präzise zu realisieren. Dann reicht es nicht, wenn der Azubi den Roboter an die Karosserie schiebt und dem Roboter mit dem Finger zeigt, wo er die Schweißnaht setzen soll. Das wird immer noch traditionell umgesetzt. Denn es geht hier um hohe Präzision und Qualität. Zudem ändert sich die Schweißnaht an einem Autoblech nicht so häufig: Hier lohnt es sich, in eine traditionelle Neukonfiguration zu investieren.

Wenn die KI die Roboterbewegungen programmiert und steuert: Wie sorgt man da für Sicherheit? Man kennt ja die Halluzinationen von KI-Modellen wie ChatGPT.

Ensslen: Natürlich macht KI ein System unsicherer, weil es weniger deterministisch wird. Wir nutzen deshalb einen spannenden Ansatz und lassen eine Safety-KI die Aktionen der Roboter-KI überwachen. Das Safety-KI-Modell beobachtet die Situation und beurteilt, ob diese sicher oder unsicher für den Menschen ist. Dabei sind die im Internet trainierten Modelle sehr hilfreich, weil es so viele Bildtrainingsdaten im Internet gibt. Das liefert eine sehr solide Grundlage für eine Safety-KI, die die Roboter-KI überwacht – auch wenn es sich vielleicht paradox anhört, wenn eine KI die KI überwacht.

Wieso sehen Sie keine andere Möglichkeit?

Ensslen: Nehmen Sie eine klassische Safety-Infrastruktur mit Safe-Motion-Funktion, die den Industrieroboter stoppt, wenn ein Mensch in die Nähe kommt. Wenn ich das bei einem humanoiden Roboter mache, der zum Beispiel in der Altenpflege eingesetzt wird, dann ist der Roboter ja komplett nutzlos, weil er ja im Kontakt mit Menschen sein muss. In der Fabrik geht das vielleicht noch, aber auch da ist es ein bisschen albern, wenn der Roboter in die Hocke gehen muss, wenn man ihm näherkommt – weil der Humanoide ja umfallen könnte.

Wie zertifiziert man Sicherheit künftig?

Ensslen: Der klassische Weg mit Safety Integrity Levels und Performance Levels kann eigentlich nicht mehr funktionieren, denn das ist ja eine sehr aufwendige Untersuchung, die alle möglichen Fälle abdecken soll. Im Maschinenbau und in der Industrie sind wir gewohnt, eine wasserdichte Safety aufzusetzen, die potenzielle Risiken systematisch ausschließt. Aber schon beim Auto oder beim Flugzeug ist das nicht mehr möglich: Man kann ein Flugzeug am Himmel oder ein Auto auf der Autobahn ja nicht einfach anhalten. Man muss in einer unsicheren Situation aktiv etwas tun, etwa an den Rand fahren oder landen. In der Industrie gibt es bislang kein aktives Eingreifen, sondern immer nur ein sicheres Anhalten und einen gestoppten Zustand. Insofern muss die Industrial Safety sehr viel dazulernen.

Synapticon GmbH

www.synapticon.com


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