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„KI braucht Robotik – und Robotik braucht KI“

Interview: Dr. Werner Kraus und Prof. Dr. Marco Huber, Fraunhofer IPA
„KI braucht Robotik – und Robotik braucht KI“

Wie profitiert die Robotik von KI? Welche Durchbrüche und Innovationen sind 2024 hier zu erwarten? Und wie gut ist Deutschland bei diesem Zukunftsthema positioniert? Antworten geben die beiden Fraunhofer-IPA-Experten und #KRoX-Keynoter Dr. Werner Kraus und Prof. Dr. Marco Huber.

Interview: Armin Barnitzke

Wie hängen KI und Robotik zusammen? Sind KI und Robotik sogar zwei Seiten der gleichen Medaille?

Huber: Nun, ich würde es so sagen: Sie können zwei Seiten einer Medaille sein, müssen es aber nicht. Viele roboterbasierte Anwendungen kommen sehr gut ohne KI aus, besonders dann, wenn es ein klar definierter Prozess ist, den die Roboter ausführen sollen. Und die KI ist ein technologisch so breites Feld mit Grundlagen aus den 1950er Jahren, das weit mehr Einsatzgebiete beeinflusst als nur die Robotik.

Kraus: Und es gibt viele Einsatzgebiete, in denen sich eine KI-Anwendung einfacher umsetzen lässt als in der Robotik – im Grunde alles, was eine rein datenbasierte Ausgabe erfordert, etwa automatisch generierter Text. Die Herausforderung bei der Robotik ist, dass die KI eine Aktion des Roboters in der realen Welt auslöst: eine Bewegung oder einen Griff … Das macht die KI gewissermaßen sichtbar. Und KI ist tatsächlich in manchen Robotik-Anwendungen bereits heute ein Game-Changer und zwar immer dann, wenn eine vollständige Programmierung der Roboteranwendung im Vorfeld nicht sinnvoll oder auch gar nicht möglich ist. Die Potenziale sind hier noch längst nicht ausgeschöpft, sondern wir stehen erst am Anfang einer Robotik auf einer neuen Stufe.

Ist KI also ein Enabler für die Robotik? Oder ist andersrum auch die Robotik ein Enabler für KI, weil KI für echte Intelligenz einen Körper benötigt?

Kraus: KI braucht Robotik – und Robotik braucht KI, gerade in Anwendungen, in denen eine vollständige Programmierung eines Robotersystems nicht umsetzbar ist. Denken Sie an kleine Losgrößen, für die sich umfangreiche Einrichtmaßnahmen gar nicht rentieren. Oder Roboter in der Intralogistik: Wie soll es möglich sein, einem Roboter vorab Kenntnisse über Millionen von Artikeln in einem Warenlager mitzugeben, damit er weiß, wie er diese erkennen und greifen könnte? Für solche Anforderungen brauchen wir kognitive Roboter, die anhand von Sensordaten ihr Umfeld erkennen, dieses interpretieren und daraus passende Handlungen ableiten können. Dies ist ein ideales Einsatzgebiet für maschinelle Lernverfahren.

Huber: Generell kratzt diese Frage ja am Intelligenz-Begriff insgesamt, der auch in der Fachwelt nicht wirklich definiert ist. Aber sicher ist: Das menschliche Weltwissen und unsere situative Intelligenz und Handlungsfähigkeit ist für KI noch eine riesige Hürde. Stand heute sind KI-Anwendungen in ihrem spezifischen Kosmos mitunter dem Menschen überlegen. Abseits dieses Kosmos sieht es ganz anders aus. Bezogen auf die Robotik heißt das: KI kann einen Roboter in einer bestimmten Aufgabe perfektionieren, der Roboter hingegen macht die KI nicht besser oder schlauer.

Wo stehen wir in Sachen KI-Robotik? Noch ganz am Anfang? Oder ist das Zusammenwachsen bereits weit fortgeschritten?

Kraus: Eine pauschale Antwort ist hier nicht sinnvoll, da es anwendungsspezifische Unterschiede gibt. Aber generell würde ich sagen, dass wir die Anfänge aktuell hinter uns lassen und das Zusammenwachsen massiv an Fahrt aufnehmen wird. Gleichzeitig ist KI natürlich kein Selbstzweck und das A und O, das immer an erster Stelle stehen muss, ist der Kundennutzen. Mit welcher Technologie wir diesen erreichen, ist dann zweitrangig. Oftmals kann es auch schon genügen, Roboter mit Sensoren auszustatten und ihnen so ein gewisses situatives Verständnis zu geben, ohne dass dort dann gleich viele KI-Algorithmen im Einsatz sind. Wir sehen dies beispielsweise bei einer Technologie, die wir gemeinsam mit Trumpf und Lorch entwickelt haben: Ein Sensor-Add-on für Schweiß-Cobots vereinfacht deren Einsatz massiv und das ganz ohne KI.

Huber: Gemeinsam mit Werner Kraus und Kollegen vom Fraunhofer IAO leite ich das KI-Fortschrittszentrum. Hier haben wir bereits Projekte mit rund 300 Unternehmen rund um KI und Robotik durchgeführt. Dadurch wissen wir: Die Mehrzahl der Unternehmen steht bei den Themen KI und Robotik durchaus noch am Anfang. Unsere geförderten Formate für die Ermittlung eines Use Cases oder die Überprüfung einer bereits vorhandenen Idee im Unternehmen sind sehr beliebt. Mit ein paar Unternehmen gehen wir dann aber auch den Weg weiter bis zum Demonstrator-Aufbau, wo sich zeigt: Im spezifischen Fall sind KI und Robotik tatsächlich schon sehr weit zusammengewachsen. Pauschal ist dies aber sicher nicht der Fall.

Wo profitiert Robotik am meisten von KI: Bei der Kognition? Bei der Lernfähigkeit? Oder beim Engineering und Programmieren?

Huber: Die Bildverarbeitung ist hier aktuell das Zugpferd. Das liegt daran, dass wir für maschinelle Lernverfahren große Datenmengen brauchen, damit die Algorithmen ausreichend trainiert sind. Und die größten verfügbaren Datenmengen gibt es einfach bei Bilddaten, neben den Textdaten im Internet. Hinzu kommt, dass wir durch generative KI jetzt noch mehr Möglichkeiten haben. Denn Bilddaten, die nur selten vorliegen, können wir nun synthetisch erzeugen. Das ist beispielsweise für die Qualitätskontrolle relevant: Hier muss eine KI Fehler erkennen können. Aber Bilder mit fehlerhaften Bauteilen sind rar, was ja an sich eine gute Nachricht ist. Dieses Problem für den Lerneffekt können wir durch synthetische Bilder nun lösen. Und ich gehe auch davon aus, dass generative KI immer mehr textbasierte Aufgaben unterstützen wird, sei es beim Erstellen von Code, Dokumentationen oder Anleitungen.

Kraus: Die KI-unterstützte Perzeption ist der Manipulation weit voraus, denn zum Beispiel Daten zur Kraftregelung sind viel seltener verfügbar. Wodurch Robotik auf jeden Fall auch stark profitiert, ist das virtuelle Training der Robotersysteme. So kann man die Anwendung entwickeln und testen, ohne sie tatsächlich real aufbauen zu müssen. So lassen sich zum Beispiel Greifer schon virtuell optimieren. Auch das Reinforcement Learning – also das Lernen aus Versuch und Irrtum, das zum Beispiel bei der kraftgeregelten Montage mit Robotern eine große Rolle spielt – erfolgt in einer Physiksimulation: Roboter erlernen hierbei selbstständig Fügestrategien, wodurch das aufwendige Programmieren von Hand entfällt.

Welche Durchbrüche und Innovationen sind beim Thema KI und Robotik 2024 zu erwarten?

Huber: Generative KI wird weiter Fortschritte machen, wovon insbesondere auch die Robotik profitieren wird, beispielsweise in der Programmierung von Anwendungen. Aber auch die Bahnplanung und Regelung von Robotern, etwa hinsichtlich Optimierung von Energieeffizienz und Safety, können von generativer KI profitieren. Im Produktionskontext wird zudem die Verbesserung von Maschinenparametern eine immer größere Rolle spielen. Die dafür erforderlichen KI-Methoden sind reif genug für den industriellen Einsatz.

Kraus: Die neu verfügbaren Technologien werden auf jeden Fall die KI-basierte Robotik beflügeln und hier auch neue Anwendungen ermöglichen. Ein Beispiel ist das KI-basierte Einpacken mit Robotern, das jetzt skalieren wird. Hier haben wir auf der LogiMAT einen Demonstrator zeigen können, der sage und schreibe 1300 Picks pro Stunde geschafft hat – und das ganz ohne Vorwissen über die zu packenden Objekte, also modellfrei. Das hat mich sehr beeindruckt. Ein weiteres Beispiel zeigt unser Ausgründungsprojekt Cellios, das sich der roboterbasierten Kabelmontage widmet. Dabei geht es um das Stecken von filigranen Kabeln in Stecker, die mit ihren 16 bis 18 Öffnungen klein wie ein Fingernagel sind. Dass Roboter dies ausführen können, ist ebenfalls beachtlich.

Wer treibt eigentlich das Zusammenwachsen von KI und Robotik? Sind das die etablierten Player oder doch eher Newcomer und Start-ups?

Huber: Das ist pauschal nicht so einfach zu beantworten. Start-ups müssen natürlich neue Produkte für Marktlücken anbieten und haben einen hohen Innovationsdruck. Gleichzeitig müssen sich auch die etablierten Unternehmen im Wettbewerb halten, wofür KI eine entscheidende Rolle spielen wird. Und der Blick sollte sich auch über die Robotik hinaus richten hin zu den großen Techkonzernen wie Google oder Tesla. Der Google-Ableger Intrinsic oder Teslas Humanoid Optimus sind Indikatoren, dass diese auch Treiber für das Zusammenwachsen von KI und Robotik sind. Zudem ist OpenAI eine Partnerschaft mit dem Robotik-Start-up Figure eingegangen mit dem Ziel, sogenannte „embodied AI“ voranzubringen.

Kraus: Treiber für KI-basierte Robotik ist grundsätzlich der Endkunde, der eine flexiblere Anwendung sucht. Forschung und Start-ups können natürlich hochinnovativ sein, weil sie wenig technologischen Altbestand betreuen müssen und so mehr Kapazitäten für Innovation, Disruption und Early Adopter haben. Den großen Akteuren verhelfen dann oft Partnerschaften und Aufkäufe von Start-ups zu neuen Anwendungen. Hierbei herausfordernd ist die Systemintegration. Denn viele etablierte Anwendungen hängen noch an den SPS und repetitiven Abläufen. Das mit Innovationen zu verheiraten, ist nicht einfach. Was aber nicht vernachlässigt werden darf, ist das weltweite Vertriebs- und Servicenetz, das es für die Skalierung von Roboteranwendungen braucht. Hier sind die etablierten Hersteller stark aufgestellt, sodass sie eher den Massenmarkt bedienen können.

Sie sprachen schon die Aktivitäten von Google und Tesla an: Wie gut ist Deutschland in Sachen Forschung und Industrie bei KI und Robotik aufgestellt?

Kraus: Es tut sich durchaus was, und das ist für den Standort Deutschland sehr wichtig. Die Robotik ist mittlerweile im Zukunftsrat des Bundeskanzlers angekommen. Deshalb gibt es auf Bundesebene diverse Aktivitäten. Das ist zum einen der Aktionsplan des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der insbesondere die KI-basierte Robotik treiben soll. Dazu gehört auch die Gründung eines Robotics Institute Germany, das Robotikstandorte in Deutschland vernetzen soll. Weiterhin gibt es vom Wirtschaftsministerium Pläne, ein Leuchtturmprojekt für Anwendungen KI-basierter Roboter (RoX) zu fördern sowie ein nationales Testzentrum für KI-basierte Robotik einzurichten. Generell haben wir in Deutschland durch unser Fachwissen speziell im Maschinenbau und Produktionskontext sicher den Vorteil, dass wir den KI-Einsatz besonders in diesen Feldern treiben möchten und können. Aber natürlich schläft die berühmte Konkurrenz nicht.

Huber: Das sehe ich genauso. Wir haben in Deutschland das Problem, dass wir ein kostenintensives Land sind, beispielsweise was die Ausgaben für Löhne oder Energie angeht. Und natürlich sind die Investitionen weltweit für KI und Robotik massiv, sodass Deutschland es schwer haben wird, hier Schritt zu halten. Die von Werner Kraus genannten Aktivitäten sind daher sehr wichtig. Die aktuellen KI-Regulierungsaktivitäten auf EU-Ebene hingegen sind sicher wenig dienlich und es wird sich zeigen müssen, inwieweit sie praktikabel sind oder eher ein Hemmschuh werden.

Sind uns das Silicon Valley und China also bei KI und Robotik schon voraus?

Huber: Gerade was das Thema KI angeht, sind wir in Europa im Moment leider total abhängig. Denn die zwei wichtigsten KI-Bibliotheken stellen aktuell Google und Facebook bereit: Tensorflow und Pytorch. Würden die Unternehmen den Zugriff hierauf plötzlich limitieren oder einstellen, wäre das extrem problematisch, weil wir in Europa nichts Vergleichbares haben. Auch bei den Large Language Modells für Technologien wie ChatGPT wird sich erst herausstellen, wie konkurrenzfähig die europäischen Aktivitäten rund um Aleph Alpha und Mistral sind. Aber es ist natürlich eine fantastische Nachricht, dass wir hier diese Aktivitäten haben.

Kraus: Bei der Anwendung von Industrierobotern ist China mit mehr als 50% Marktanteil mittlerweile führend. Demgegenüber ist Europa meiner Ansicht nach beim Thema Servicerobotik, also Robotern außerhalb von Produktionen, durchaus auf Augenhöhe mit China und den USA. Das Sammeln und Nutzen von Daten als Grundlage für KI-basierte Anwendungen hingegen ist China und den USA besser gelungen. Es muss jetzt für uns darum gehen, die Technologien zu erschließen und sinnvoll einzusetzen. Der Wettbewerb um die „Nase vorn“ ist also in vollem Gange.

Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA
www.ipa.fraunhofer.de


Experten-Duo als #KRoX-Keynoter

Dr. Werner Kraus ist Leiter der Abteilung Roboter- und Assistenzsysteme am Fraunhofer IPA. Prof. Dr. Marco Huber leitet dort die Abteilungen Bild- und Signalverarbeitung sowie Cyber Cognitive Intelligence. Beide halten gemeinsam am 20. Juni 2024 die Eröffnungs-Keynote auf dem Konradin RobotX Forum #KRoX: https://automationspraxis.industrie.de/krox/


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