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Humanoide Roboter in der Produktion – was spricht dafür und dagegen?

Herausforderungen bei Arbeitssicherheit, Fingerfertigkeit und Verfügbarkeit
Humanoide Roboter in der Produktion – was spricht dafür und was dagegen?

Humanoide Roboter sind derzeit in alle Munde und gelten als „Next Big Thing“. Aber stimmt das überhaupt? Was spricht für den Einsatz von humanoiden Robotern in der Produktion? Und was dagegen? Unser Gastautor blickt hinter den aktuellen Hype.

Autor: Dr. Johannes Kurth, Robuen

Die Euphorie zum Einsatz von humanoiden Robotern ist aktuell groß. Boston Dynamics zeigt regelmäßig in beeindruckenden Videos, wie sie die Leistungsfähigkeit des humanoiden Roboters Atlas immer weiter verbessern. Durch die großen Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz besteht die Hoffnung, dass humanoide Roboter immer menschenähnlicher werden und damit auch in der Produktion Aufgaben vom Menschen übernehmen können.

Auch Elon Musk treibt mit dem humanoiden Roboter Optimus den Einsatz in der Produktion von Tesla voran und BMW führt in der Zusammenarbeit mit Figure erste Feldversuche mit humanoiden Robotern durch. Aber was genau spricht eigentlich für und was gegen den Einsatz von humanoiden Robotern in der Produktion?

Was für den Einsatz spricht

Lukrativ erscheint vor allem die Perspektive, manuelle Arbeitsplätze durch Roboter automatisieren zu können, ohne dass Anpassungen an der Anlage oder im Umfeld notwendig sind. Ein aufwendiges Engineering entfällt. Die Investitionskosten sind auf den humanoiden Roboter begrenzt und damit ohne weitere Risiken gut kalkulierbar. Auch ist ein Wechsel zwischen Roboter und Mensch in kürzester Zeit ohne Umbauten möglich, was zusätzliche Flexibilität schafft.

Die Hoffnung: Der durch den demographischen Wandel zu erwartende Arbeitskräftemangel kann so durch humanoide Roboter einfach kompensiert werden. So kommt auch eine Horváth-Studie zu dem Schluss, dass humanoide Roboter mittelfristig in der Fertigung mehr als 50 % der manuellen Tätigkeiten durchführen können.

Was gegen den Einsatz spricht

Alle Studien und Veröffentlichungen zum Einsatz von humanoiden Robotern klammern aber einen entscheidenden Aspekt aus, der zum Scheitern der ganzen Vision führen kann: Das ist die Arbeitssicherheit! In Europa sorgt die Maschinenrichtlinie für ein einheitliches Sicherheitsniveau. Harmonisierte Normen wie die ISO 12100, ISO 10218–1 und ISO 10218–2 helfen dabei, die Maschinenrichtlinie einzuhalten.

Bei der Einführung der Mensch-Roboter-Kollaboration wurde bereits deutlich, wie hoch die Hürden sind, nur einen stationären Roboterarm im gleichen Arbeitsraum wie einen Menschen arbeiten zu lassen. Die MRK-Roboter müssen über viele Sicherheitsfunktionen in Kat 3 („Zweikanaligkeit“) und Performance Level d verfügen, was sie technisch anspruchsvoll und teurer macht als Roboter ohne diese Sicherheitsfunktion. Wie aufwändig wird es also, einen humanoiden Roboter sicher zu machen?

Was passiert beim Sturz?

Bei humanoiden Robotern kommt hinzu, dass sie aufgrund ihrer Masse ein Sicherheitsproblem an sich darstellen, wenn sie stürzen und auf Personen fallen. Diese Fehlfunktion kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, da humanoide Roboter konstruktiv instabil sind und erst durch Momentenregelung in den Gelenken stabilisiert werden.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Frage, wie ein Nothalt bei humanoiden Robotern realisiert werden soll, da das Abschalten der Antriebe nicht immer zu einem sicheren Zustand führt. Leider ist bis jetzt dem Autor keine vollständige Risikobeurteilung für den Einsatz von humanoiden Robotern bekannt.

Das Sicherheitsproblem könnte technisch und organisatorisch gelöst werden.

  • Bei der technischen Lösung müsste der humanoide Roboter mit einem oder mehreren Seilen an einer Vorrichtung gesichert sein, die an der Decke mitfährt und immer oberhalb des Roboters positioniert ist. Die Seile müssen der Bewegung des Roboters folgen, bis der Beginn eines „Sturzes“ erkannt wird. Dann müssen die Seile geklemmt werden, ohne dass durch das Aufrichten des humanoiden Roboters eine neue Gefahr entsteht. Diese Lösung ist aber technisch aufwendig und würde den Einsatz verteuern und unflexibler machen.
  • Die organisatorische Lösung besteht darin, den Bereich, in dem sich ein oder mehrere humanoide Roboter bewegen, für Menschen zu sperren. Dazu benötigt es aber auch wieder Sicherheitseinrichtungen oder Schutzzäune. Es müssen also doch Veränderungen an der Anlage vorgenommen werden. Zudem ist die Automatisierung nur einzelner Arbeitsplätze schwer oder gar nicht möglich.

Menschliche Hand: ein Wunderwerk

Die menschlichen Hände sind nicht nur biomechanisch betrachtet ein Wunderwerk an Flexibilität, sondern auch die Haptik ist perfekt. Es ist möglich, mit den Fingerkuppen Unebenheiten im 1/100 mm Bereich zu ertasten. Diese Haptik wird in der Mehrzahl der Montageaufgaben genutzt. Die Augen verwendet der Mensch, um zwei zu fügende Gegenstände grob zueinander zu positionieren. Der eigentliche Fügevorgang (z.B. Schrauben, Clipsen) wird haptisch ausgeführt.

Wie wird das bei humanoiden Robotern gelöst? Es gibt heute schon druckauflösende Sensoren für Greiferbacken oder Fingerkuppen. Diese sind der menschlichen Haptik aber noch weit unterlegen. Hier müssen in der Sensorentwicklung und Datenverarbeitung noch große Fortschritte gemacht werden.

Eingeschränkte Fingerfertigkeit

Bei genauer Betrachtung von Videos zum Humanoid-Einsatz von BMW im Werk Spartanburg ist die eingeschränkte Fingerfertigkeit gut zu erkennen. Für den Karosseriebau reicht das aber aus, da hier die Werker aus Gründen der Arbeitssicherheit wegen der scharfkantigen Bleche Handschuhe tragen müssen. Durch die Handschuhe wird die haptische Auflösung deutlich reduziert. Der Arbeitsplatz wird deshalb im Karosseriebau immer so gestaltet, dass die Bleche auch mit geringerer Haptik eingelegt werden können.

Gering sind auch die Anforderungen an die Haptik der Hände im Bereich der produktionsnahen Logistik, wenn nur Pakete oder Kleinladungsträger von einem Ort zu einem anderen Ort transportiert werden sollen. Dies ist sicherlich auch der Grund, warum aktuell viele Tests mit humanoiden Robotern in der Logistik durchgeführt werden.

Problem begrenzte Geschwindigkeit

Sollen humanoide Roboter den Arbeitsraum mit Menschen teilen können, dann ist ihre Geschwindigkeit wie heute schon bei der Mensch-Roboter-Kollaboration begrenzt. Die Geschwindigkeit darf nur so hoch sein, dass es bei Kollision mit einer Person zu keinen Verletzungen kommt. Diese Geschwindigkeit ist weit geringer als die Geschwindigkeit des Menschen.

Selbst wenn das oben genannte grundsätzliche Sicherheitsproblem gelöst werden würde und humanoide Roboter wirklich mal so schnell sein sollten wie Menschen, können sie diese nur in abgesicherten Bereichen ersetzen. Ansonsten müssen sie sich deutlich langsamer als der Mensch bewegen und können daher die Aufgabe nicht in der vorgegebenen Taktzeit verrichten. Das schränkt den Einsatz auf Aufgaben ein, bei denen die Taktzeit nicht relevant ist.

Problem technische Verfügbarkeit

Ein wichtiges Thema ist auch die technische Verfügbarkeit. Die bisherigen Erfahrungen in der Roboterentwicklung haben gezeigt, dass es ein großer Unterschied ist, ob ein Roboter für ein paar Stunden Betrieb im Labor oder für den 24/7 Einsatz in der Produktion ausgelegt wird. Die Anforderungen an die technische Verfügbarkeit von Getrieben, Sensoren, etc. sind deutlich höher. Nimmt man die Aufwendungen für Sicherheitsfunktionen noch hinzu, die man im Labor auch nicht braucht, dann erscheinen zuweilen genannte Preise von unter 50.000 Euro doch sehr optimistisch.

Ist Nachahmen des Menschen überhaupt sinnvoll?

Zumal sich ganz grundsätzlich stellt sich die Frage, ob das Nachahmen des Menschen zu wirtschaftlich sinnvollen Automatisierungslösungen führt. Manuelle Arbeitsplätze werden so gestaltet, dass menschliche Einschränkungen wie Kraft, Ermüdung, Ergonomie (möglichst keine Arbeiten in gebeugter Haltung oder über Kopf) vermieden werden. Ein Roboter kennt diese Einschränkungen nicht, hat dafür aber andere. Das Nachahmen des Menschen führt damit zweimal zur Aneinanderreihung von Systemen mit Einschränkungen und dadurch nur zu suboptimalen Lösungen.

Aus diesem Grund ist es weiterhin sinnvoll, die jeweiligen zu automatisierenden Aufgabenstellungen zu analysieren und die Anlagen neu zu denken. Dann besteht das Potenzial für eine effiziente und wirtschaftliche Automatisierungslösung. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn die KI-Forschung das Engineering von Anlagen als lohnenswertes Forschungsfeld betrachten würde und es hier in der Zukunft substantielle Unterstützung für Anlagenplaner geben würde.

Zusammenfassung und Ausblick

Es gibt einige Studien und jede Menge Videos, die den humanoiden Robotern in der Produktion eine glorreiche Zukunft bescheinigen. Bei genauerer Betrachtung gibt es aber berechtigte Zweifel. Das Thema Arbeitssicherheit beim Einsatz von humanoiden Robotern in der Fertigung, das bis heute noch gar nicht adressiert wurde, wird noch eine gigantische Herausforderung, die zum Scheitern führen kann, wenn sie nicht gelöst wird.

Das Sicherheitsproblem kann deutlich reduziert werden, wenn anstelle der Beine omni-direktionale Plattformen mit Rädern eingesetzt werden, die aus dem Stand in jede beliebige Richtung fahren können. Da die meisten Böden in Produktionshallen eben sind, führt das auch zu keiner funktionalen Einschränkung. Die Fortschritte in der KI können bei diesem Konzept 1:1 genutzt werden.

Lösung: Roboter auf Rädern?!

Aufgrund der einfacheren Handhabungsaufgabe werden humanoide Roboter auf Rädern wahrscheinlich zunächst in der produktionsnahen Logistik eingesetzt werden. Ob oder wann humanoide Roboter Menschen in der Montage wirtschaftlich ersetzen können, lässt sich aktuell ganz schwer abschätzen.

Es wäre sehr zu begrüßen, wenn ein Teil der Forschungsgelder, die heute für KI von humanoiden Robotern aufgewendet werden, in die Forschung von KI-gestützten Planungswerkzeugen für die Automatisierung der Produktion investiert werden würden. Dann wäre es nämlich möglich, bei geringem Aufwand und Wissen mit verfügbaren Komponenten smarte Automatisierungslösungen zu planen und zu realisieren.

Robuen – Robotics Business Engineering

www.robuen.com


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