Schon Ende der 1990er-Jahre war klar, dass der Maschinenbau immer stärker durch IT-Systeme, Automation und Vernetzung geprägt wird. Als Anfang 2000 die ersten Smart Homes entstanden, kam schnell die Frage auf – warum gibt es noch keine Smart Factory? Daraus entstand eine Idee, die mit der Zeit immer konkretere Gestalt annahm. Das Internet vernetzte zunächst die Menschen und später alle Dinge rundherum. Das IoT-Paradigma schuf die technologischen Voraussetzungen, um die Zukunft zu gestalten.
Wie der Begriff Industrie 4.0 entstand
Doch wie fand die vierte industrielle Revolution eigentlich zu ihrem Namen? 2011, im Vorfeld der Hannover Messe Industrie, wurde ein umfassendes Papier zum Thema „Cyberphysische Produktionssysteme“ erstellt. Eher beiläufig in einem Interview mit Prof. Henning Kagermann, Prof. Wolf-Dieter Lukas und Prof. Wolfgang Wahlster fiel der Begriff „Industrie 4.0“ – und fand sich prompt am 1. April in der Überschrift der VDI Nachrichten wieder. Bundeskanzlerin Angela Merkel griff anschließend den Begriff in ihrer Eröffnungsrede zur Hannover Messe gleich mehrfach auf. Diese Bewegung war nicht mehr aufzuhalten. Wir wurden regelrecht überrannt von Anfragen aus dem In- und Ausland. Der eingängige Begriff hat dabei sicherlich sehr geholfen. Seitdem ist Industrie 4.0 zum Synonym für die Produktion der Zukunft geworden.
Die globale Vernetzung
Im Jahr 2005 begann es mit intelligenten Geräten und industriellen Funkanwendungen, in den nächsten Jahren entstanden intelligente Maschinen und Fertigungssysteme, die verwendet werden können, um Anlagen auf der Grundlage von standardisierten Modulen einfach einzurichten. Aber heute haben wir es mit einer viel breiteren Sichtweise von Industrie 4.0 zu tun.
Jedes Gerät und jede Fabrik wird Produktionsdienstleistungen anbieten und nutzen, die auf weltweiten Marktplätzen verhandelt werden können. Und da alle Geräte alle möglichen Daten über die Netzwerke anbieten, werden wir Zugang zu riesigen Datenmengen haben, die in Informationen und dann in Wissen umgewandelt werden müssen, um sie sinnvoll zu nutzen.
Die globale Vernetzung und die damit verbundenen enormen Datenmengen werden die Bedeutung von Cloud-Plattformen als Service-Provider oder Broker weiter vorantreiben. Dabei reden wir nicht mehr von einzelnen Bausteinen in der Produktion, die wir verändern. Die Wertschöpfung spielt sich auf einer ganz anderen Ebene ab, indem wir die gesamte Produktion in Dienste überführen können. Die Herausforderung lautet dabei, die Produktion so in einzelne Dienste zu gliedern, dass sie sich sinnvoll und effizient weltweit organisieren lässt.
Wohin geht die Reise?
Wohin wird Industrie 4.0 die vernetzte, smarte Produktion weiterführen? Globalisierung wird in Zukunft anders gedacht als heute: zwar mit weltweit einheitlichen Produktstandards, aber doch viel stärker wieder mit einer dezentralen Produktion und individuell anpassbaren Produkten. Dabei ist bereits ein Wettlauf um die führende Marktposition in Gange zwischen Nordamerika, Asien und Europa. Europa und insbesondere Deutschland sollten sich in diesem Umfeld jedoch weiterhin behaupten können. Unsere Vorteile: Wir haben gute Ideen, sehr gute Ingenieure und vor allem einen agilen, leistungsstarken Mittelstand.
Nach zehn Jahren ist die vierte industrielle Revolution jedenfalls noch lange nicht an ihrem Ende angelangt. Eine übliche Lebensdauer einer solchen Revolution wäre 30 Jahre, also liegen noch 20 Jahre vor uns. Welche neuen Technologien in dieser Zeit plötzlich nutzbar werden, wohin die Entwicklung führt und was das Thema der fünften industriellen Revolution sein könnte, lässt sich heute noch nicht im Ansatz beantworten. Dennoch hat Industrie 4.0 nicht nur den Erfindungsreichtum deutscher Ingenieure demonstriert, sondern der Welt eine Vision für die Zukunft gegeben.
Zum Autor:
Prof. Dr.-Ing. Detlef Zühlke ist Gründer und Ehrenmitglied des Vorstands der Technologie-Initiative SmartFactory KL e. V. in Kaiserslautern und Keynote-Speaker beim 22. VDI-Kongress Automation am 29. und 30. Juni 2021
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