„Open Industry 4.0 Alliance“ nennt sich die beeindruckende Phalanx europäischer Firmen aus Maschinenbau und Industrial Automation, die sich um die Softwaregröße SAP herum gruppiert: Neben den Gründungsmitgliedern Beckhoff, Endress+Hauser, Hilscher, ifm, Kuka und Multivac gehören weitere Firmen wie Balluff oder Pepperl+Fuchs zur Open Industry 4.0 Alliance.
Die Mitglieder wollen eines standardisiertes und offenes Ökosystems für den Betrieb von hochautomatisierten Fabriken und Anlagen unter Einbindung von Logistik und Services schaffen. Damit will die Open Industry 4.0 Alliance proprietäre Insellösungen überwinden und der digitalen Transformation der europäischen Industrie Schub geben. Die Firmen planen auf Basis existierender Standards wie I/O Link, OPC UA und RAMI – ein offenes und interoperables Open Industry 4.0 Framework für die Gesamtstrecke vom Objekt in der Werkhalle bis zum Service.
Open Industry 4.0 Alliance: Gleiche Sprache für Maschinen
Das offene, standard-basierte Angebot der Open Industry 4.0 Alliance besteht aus vier Bausteinen: Device Connectivity, Edge, Operator Cloud und Cloud Central plus einem zugehörigen Dienstleistungsangebot. Die Open Industrie 4.0 Alliance strebt an, dass bis zu 80 Prozent der Maschinen in einer Smart Factory die gleiche Sprache sprechen. Die Gründungsmitglieder bereiten eine erste Leistungsschau mit Proof-of-Concepts für die zweite Hälfte des Jahres 2019 vor.
„Wir wollen unseren Kunden Offenheit und höchstmögliche Kompatibilität mit unseren Systemen ermöglichen, denn wir sind davon überzeugt, dass in einer digitalen und hochvernetzten Welt Alleingänge langfristig scheitern. Deshalb setzen wir auf ein offenes Ökosystem, das es uns ermöglicht, unsere Kunden mit unseren innovativen Komplettlösungen auf dem Weg zur smarten Fabrik zu unterstützen“, sagt Florian Hermle, Geschäftsführer der Balluff Gruppe.
Reinhold Stammeier, Chief Digital Officer bei Kuka, ergänzt: „Es gibt viele Insellösungen am Markt, jedoch fordern die Kunden die durchgängige Vernetzung auf dem Shopfloor und eine sichere Verbindung von der Maschine bis zur Cloud. Sie fordern mehr als eine technische Lösung – ein gemeinsames Vorgehen bei semantischen Datenmodellen und Datenaustausch zwischen Betreibern und Herstellern bringt erst den weiteren Mehrwert.“
BMW und Microsoft gründen Open Manufacturing Platform (OMP)
Während Open Industry 4.0 Alliance noch an offenen Standards für die Zukunft arbeitet, machen zwei weitere Schwergewichte bereits Nägel mit Köpfen: BMW und Microsoft haben Open Manufacturing Platform (OMP) angekündigt, um die Digitalisierung in der Fertigungsindustrie voranzutreiben und proprietäre IT-Systeme sowie Datensilos zu überwinden. So wollen BMW und Microsoft eine offene IoT-Technologieplattform etablieren und eine branchenübergreifende Community aufbauen.
„Bereits seit 2016 setzen wir auf Cloud-Dienste und entwickeln konsequent neue Ansätze. Mit der Open Manufacturing Platform als nächsten Schritt wollen wir unsere Lösungen für andere Unternehmen verfügbar machen und gemeinschaftlich Potenziale heben, um unsere starke Position im Markt nachhaltig zu festigen“, sagt Oliver Zipse, Mitglied des Vorstands der BMW AG, Produktion.
Die OMP basiert auf der Microsoft Azure Industrial IoT Cloud Plattform. Sie bietet eine Referenzarchitektur mit Open-Source-Komponenten auf der Basis offener Industriestandards sowie eines offenen Datenmodells für eine bessere Zusammenarbeit und einen besseren Datenaustausch. Die Plattform standardisiert zudem industrielle Datenmodelle, um die Analyse von Informationen zu beschleunigen.
OMP nutzt den industriellen Interoperabilitätsstandard OPC UA
Die OMP ist mit der bestehenden Referenzarchitektur für Industrie 4.0 (RAMI4.0) kompatibel und nutzt unter anderem den industriellen Interoperabilitätsstandard OPC UA. Lob kommt daher von der OPC Foundation: „Das ist eine sehr gute Nachricht für die Fertigungs-Industrie“, sagt Stefan Hoppe, Präsident und CEO der OPC Foundation. „Die Nutzung von offenen internationalen Industriestandards wie OPC UA in der OMP-Community ermöglicht Herstellern, Maschinenbauern und Zulieferern, ihre Anlagen kostengünstig, effizient und sicher zu integrieren. Lange Zeit haben Unternehmen proprietäre, geschlossene Ökosysteme vorangetrieben – die OMP-Initiative für eine offene Entwicklung wird die Fertigung von morgen prägen.“
Derzeit sind bereits mehr als 3000 Anlagen, Roboter und autonome Transportsysteme an die Microsoft-Azure-basierte IoT Plattform bei BMW angeschlossen. Auf dieser Basis will die BMW Group auch erste Anwendungsfälle in die OMP Community einbringen. Ein Beispiel hierfür ist der Einsatz ihrer IoT-Plattform für die zweite Generation der autonomen Transportsysteme des Unternehmens im BMW Group Werk Regensburg. Damit konnte die BMW Group ihre Logistikprozesse durch eine zentrale Koordination des Transportsystems deutlich vereinfachen und eine höhere Effizienz in der Logistik erzielen.
Zukünftig werden diese und andere Anwendungsfälle – wie digitale Feedbackschleifen, digitales Supply Chain Management und vorausschauende Wartung – innerhalb der OMP-Community bereitgestellt und weiterentwickelt. Zudem soll die OMP-Community mit zusätzlichen Partnern ausgebaut werden. Das OMP Advisory Board wird bis Ende 2019 mit zunächst 4 bis 6 Partnern und mindestens 15 Anwendungsfällen in ausgewählten Produktionsumgebungen im Einsatz sein. „Die Partner Microsoft und die BMW Group ermutigen andere Hersteller und Zulieferer – einschließlich Unternehmen, die nicht der Automobilindustrie angehören – sich der Open Manufacturing Platform anzuschließen“, heißt es.
Volkswagen und Amazon Web Services, bauen Industrial Cloud auf
Allerdings: Das gleiche Ziel verfolgen eben auch Volkswagen und Amazon Web Services, die gemeinsam die Industrial Cloud bei Volkswagen aufbauen wollen. Langfristig geht es dabei auch um die Integration der globalen Lieferkette des Volkswagen Konzerns mit über 30.000 Standorten von mehr als 1.500 Zulieferern und Partnerunternehmen. Verhandlungen mit großen Industrieunternehmen, die Interesse an einer Migration in die Volkswagen Industrial Cloud haben, laufen bereits.
Gemeinsam mit Amazon Web Services legt Volkswagen die Industrial Cloud deshalb als offene Industrie-Plattform an, die perspektivisch auch weitere Partner aus Industrie, Logistik und Handel nutzen können. Denkbar ist zudem, dass die Cloud-Plattform grundsätzlich für andere Automobilhersteller zugänglich sein wird. Oliver Blume, Vorstandsvorsitzender von Porsche und im Vorstand der Volkswagen AG für Produktion zuständig. „Mit unserer globalen Industrie-Plattform wollen wir ein wachsendes industrielles Ökosystem schaffen, von dessen Transparenz und Effizienz alle Beteiligten profitieren.“
Siemens unterstützt Volkswagen Industrial Cloud
Immerhin ist es Volkswagen bereits gelungen, mit Siemens einen gewichtigen IoT-Player an Bord zu holen. Der Technologiekonzern Siemens wird Integrationspartner der Volkswagen Industrial Cloud und soll maßgeblich dazu beitragen, Maschinen und Anlagen unterschiedlicher Hersteller in den 122 Volkswagen-Fabriken effizient in der Cloud miteinander zu vernetzen. Darüber hinaus machen Siemens sowie weitere Maschinen- und Anlagenlieferanten Anwendungen und Apps aus dem IoT-Ökosystem MindSphere in der Volkswagen Industrial Cloud verfügbar.
Neben Anwendungen und Apps der MindSphere-Plattform steuert Siemens auch Industrial Edge-Lösungen bei. Hier werden Produktionsdaten direkt von Endgeräten und Maschinen bzw. in Fertigungsprozessen verarbeitet und analysiert, bevor sie in der Industrial Cloud zusammengefasst werden. So lassen sich nicht nur komplexe Fertigungsprozesse fertigungsnah optimieren, sondern auch die Qualität und Güte der Daten, die in die Volkswagen Industrial Cloud übertragen werden, weiter verbessern.
Mit dem Aufbau seiner Industrial Cloud schafft der Volkswagen Konzern die Grundlage für eine durchgängige Digitalisierung seiner Produktion und Logistik. In der Volkswagen Industrial Cloud werden künftig die Daten aller Maschinen, Anlagen und Systeme aus sämtlichen 122 Fabriken des Volkswagen Konzerns zusammengeführt. Dazu wird IT auf der Fertigungsebene von Maschinen, Anlagen und Systemen – etwa für die Produktionsplanung und Lagerhaltung –über alle 122 Fertigungsstätten des Volkswagen Konzerns hinweg einheitlich gestaltet und verknüpft.
122 Fertigungsstätten des Volkswagen Konzerns verknüpft
Damit vereinheitlicht und vereinfacht die Cloud-Plattform den system- und werkeübergreifenden Datenaustausch. Denn gerade die Zusammenführung der Daten aus allen Fabriken schafft neue Perspektiven für die Optimierung von Abläufen und Prozessen, so Volkswagen. Dazu zählen eine effizientere Steuerung des Materialflusses, die frühzeitige Erkennung und Korrektur von Lieferengpässen und Prozessstörungen, und eine optimierte Fahrweise von Maschinen und Anlagen in jeder Fabrik. Zudem will Volkswagen Funktionen der Datenanalytik nutzen, um werksübergreifende Prozesse zu analysieren und zu vergleichen.
Experten-Teams von Volkswagen und Amazon Web Services treiben die Industrial Cloud gemeinsam voran. Mittelfristig sollen es rund 220 Spezialisten sein, die in mehreren IT-Entwicklungszentren von Volkswagen sitzen. Bereits jetzt haben die Teams 140 Projekte definiert. Dazu zählen beispielsweise ein Dienst zur Lokalisierung von Warentransporten innerhalb und außerhalb der Fabrik, etwa per Lkw (Vehicle Locating Service) sowie Analysedienste für die Berechnung der Anlageneffektivität in den Standorten (Overall Equipment Effectiveness, OEE).
Ziel ist es, die Volkswagen Industrial Cloud sowie erste konkrete Services und Funktionen Ende 2019 in Betrieb zu nehmen. Ob und welches der offenen Cloud-Ökosysteme sich tatsächlich in der Breite durchsetzt, bleibt abzuwarten. Bis dahin müssen gerade Automobilzulieferer, die für Volkswagen und BMW arbeiten, auf mehreren Cloud-Hochzeiten tanzen.
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