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Die Digitalisierung wird auch den Maschinenbau gehörig umkrempeln. Davon ist Uwe Weiss, CEO des Automations- und Rundschalttisch-Spezialisten Weiss GmbH aus Buchen, fest überzeugt. „So wie in der Automobilindustrie das Thema Software Defined Vehicle an Bedeutung gewinnt, wird im Maschinenbau die Software Defined Machine kommen.“ In ein paar Jahren werde man daher im Maschinenbau entweder digitalisiert sein oder nicht mehr am Markt teilnehmen können.
In seinem eigenen Unternehmen treibt Uwe Weiss den digitalen Wandel daher mit viel Engagement voran. Allerdings weiß er auch, dass seine Möglichkeiten als Komponenten- und Lösungsanbieter begrenzt sind: „Wir als Komponenten-Anbieter können nur so gut sein wie alle anderen um uns herum. Schließlich leben alle Player im deutschen Maschinenbau in einem Ökosystem.“
„Digitalisierung birgt Risiken – aber die Chancen für eine Differenzierung zum internationalen Wettbewerb und für eine zukunftsfähige Geschäftstätigkeit überwiegen.“ Uwe Weiss, Weiss GmbH
Austausch auf Augenhöhe
Daher hat Uwe Weiss mit seinem Team das Format Triple M (Mission Maschinenbau im Mittelstand) initiiert, um sich mit anderen Entscheidern aus dem Maschinenbau über Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung auf Augenhöhe offen auszutauschen, Erfahrungen auszutauschen und so voneinander zu lernen. Die zweite Ausgabe des Triple M, die beim Stuttgarter Software- und Simulationsspezialisten ISG stattfand, zeigt, dass die deutschen Maschinenbauer die Digitalisierung durchaus ernstnehmen, aber dass das Ganze auch ein weites und durchaus komplexes Feld ist, das es zu beackern gilt.
Entsprechend reichen die im Triple M diskutierten Digitalisierungs-Themen von der Digitalisierung des Maschinenbetriebs über das digitale Engineering bis zu internen IT-Projekten. Denn auch Uwe Weiss hat erkannt, dass das Thema Digitalisierung nicht nur Produkte und Maschinen betrifft, sondern schon in der eigenen internen Organisation beginnt: „Digitalisierung braucht Digitalisierung, daher optimieren wir unsere IT-Basis als Backbone der Digitalisierung.“ Unter anderem führe man bei Weiss ein neues PDM-System ein und wechsle zugleich auf ein anderes ERP System, um die internen Workflows zu digitalisieren.
Mehrwert durchs Digitalisieren
Ähnliches treibt Ulrich Radlbeck, Konstruktionsleiter beim Sondermaschinenbauer Gluth Systemtechnik, um: „Wir wollen die Welten von Technik und Warenwirtschaft verbinden, indem wir unser PDM System mit dem ERP koppeln, um den Mitarbeitern in Werkstatt und Montage in deren gewohnten Umgebungen ERP-Daten zur Verfügung zu stellen“, sagt Ulrich Radlbeck: „Beispielsweise haben wir den Lieferstatus PDM-seitig in die Maschinenstückliste integriert und geben den Konstrukteuren eine Übersicht, welche Komponenten der Anlage noch nicht beschafft sind.“ Künftig will Ulrich Radlbeck auch die Kommunikation zwischen Montage und Konstruktion digital abbilden. „Bislang drucken die Monteure Zeichnungen aus, markieren Fehler mit Rotstift und tragen diese dann in die Konstruktion.“
Bereits im Alltag des Maschinenbaus gibt es also genug zu tun. Aber man darf natürlich den Maschinenbetrieb und die Kunden nicht vergessen. „Wir wollen unsere Maschinen digitalisieren, um so einen digitalen Mehrwert zu liefern, denn sonst unterscheiden wir uns bald nicht mehr“, sagt Michael Frieß, Vorstandsmitglied beim Lösungsanbieter Heitec. In Erlangen arbeiten die Ingenieure daher an einer Edgeapp, die Daten aus unterschiedlichen Maschinentypen auslesen soll. Damit sollen sich standardisierte Kennzahlen (wie OEE) ebenso darstellen lassen wie individuelle Kennzahlen oder Auswertungen zum CO2-Fußabdruck oder eine Top-10-Fehlerauswertung.
Geschäftsmodelle ändern sich durch Digitalisierung
Der Erfahrungsbericht von Michael Frieß zeigt: Die Entwicklung einer solchen App und der zugehörigen PLC-Treiber (um die Daten aus den Steuerungen heraus zu bekommen) ist für Maschinenbauer wie Heitec relativ einfach. Aber Fragen à la „Wie sieht das passende Geschäftsmodell aus?“ oder „Auf welche Plattform setzen wir beim Abrechnen?“ machen solche Projekte durchaus herausfordernd. Aber für Heitec ist die Edgeapp ein wichtiger Schritt, um nicht nur die eigenen Maschinen attraktiver zu machen, sondern auch um neue Geschäftsfelder zu erschließen, in dem man digitale Services anbietet.
Ohnehin zeichnet sich ab, dass durch die Digitalisierung nicht nur die Produkte und Maschinen smarter werden, sondern dass sich auch ganze Geschäftsmodelle ändern. Denn auch im Maschinenbau wird über kurz oder lang die Plattform Ökonomie Einzug halten, in der digitale Marktplätze sich zwischen Angebot und Nachfrage schieben, so wie man es im Privatleben von Amazon oder Booking.com kennt. Davon ist Dirk Engelbrecht, CEO von andugo.io, fest überzeugt.
Damit der deutsche Maschinenbau dabei nicht zum reinen Spielball der großen Internet-Player wie Google und Amazon aus den USA wird, arbeitet Dirk Engelbrecht mit seinem Start-up andugo.io daran, eine solche Plattform für und mit dem Maschinenbau-Mittelstand aufzubauen und hat dafür bereits jede Menge namhafter Partner gewonnen. Neben Weiss etwa auch Fanuc, Kuka oder Schunk sowie den VDMA Robotik + Automation. Zudem arbeitet Dirk Engelbrecht ständig daran, zusätzliche Services einzubinden: etwa einen ERP Connector, mit dem man aus der Plattform heraus Lagerbestände weltweit einsehen kann. Allerdings muss er dabei noch viel Pionierarbeit leisten, denn letztlich steht die Plattform-Ökonomie im Maschinenbau noch ziemlich am Anfang.
Virtuelle Inbetriebnahme kommt
Dagegen ist ein anderes Digitalisierungsthema, die virtuelle Inbetriebnahme (VIBN), inzwischen ein alter Hut. So erinnert sich Michael Frieß auf dem Triple M-eeting daran, dass er schon 2013 auf einem Expertenforum der Automationspraxis über die Vorteile der virtuellen Inbetriebnahme vorgetragen hat. „Damals fanden das bestimmt 20 Prozent der Zuhörer spannend und 80 Prozent hielten das für unnötig. Heute ist es umgekehrt.“
Und in 5 Jahren werden Maschinenbauer, die sich nicht mit der virtuellen Inbetriebnahme beschäftigen, kein Geschäft mehr machen, ist Michael Frieß überzeugt. Denn gerade Kunden aus der Automobilindustrie fordern heute eine virtuelle Inbetriebnahme schon verbindlich ein, weil sie damit das Go-Live der bestellten Produktionsanlagen besser sicherstellen können, berichtet ISG-Geschäftsführer Christian Scheifele. Und wenn die Automobilindustrie als Vorreiter die VIBN quasi zur Pflicht macht, dann dürften andere Kunden bald folgen.
Zumal man mit der virtuellen Inbetriebnahme nicht nur bis zu 80 Prozent der Zeit bei der echten Anlagen-Inbetriebnahme sparen kann, sondern diese auch ganz neue Möglichkeiten eröffnet. „Bereits während des Engineerings kann man das Anlagenkonzept am digitalen Zwilling der Anlage optimieren. Zudem lassen sich so Fehler im Engineering-Prozesse früher aufdecken – das spart Kosten“, sagt Christian Scheifele.
Warten auf die Standards
Allerdings sind auch bei der VIBN noch nicht alle Hürden aus dem Weg geräumt. „Wir arbeiten zwar gerne mit dem Tool Virtuos von ISG, haben auf Kundenwunsch aber auch andere Tools im Einsatz. Und für jedes Tool müssen wir eigene Verhaltensmodelle entwickeln“, berichtet Michael Frieß. Ein Aufwand den Maschinenbauer von den Kunden kaum noch bezahlt bekommen und selbst nur schwer stemmen können. Michael Frieß sieht daher auch die Hersteller der Maschinenkomponenten in der Pflicht: „Die Verhaltensmodelle müssen die jeweiligen Komponenten Hersteller mitliefern, wie heute schon die CAD-Daten.“
Uwe Weiss hat die Notwendigkeit erkannt: Sein Ziel ist es, alle Weiss-Produkte mit einem digitalen Zwilling und digitalen Modellen auszuliefern. „Denn ein Verhaltensmodell für Maschinenkomponenten wird künftig ein Verkaufsargument sein, dann kann der Kunde die Maschine schneller in Betrieb nehmen.“ Er geht daher davon aus, dass die Entwicklung von Verhaltensmodellen künftig ein fester Teil der Produktentwicklung sein wird.
Allerdings bleibt bis auf Weiteres dabei das Problem der Tool-Abhängigkeit. Derzeit fehlt es noch an herstellerübergreifenden Standards für die virtuelle Inbetriebnahme. Fortschritte für standardisierte Digital Twins entstehen in den vielversprechenden Arbeiten der Industrial Digital Twin Association (IDTA), „aber diese Standardisierungsarbeiten benötigen noch ihre Zeit. Praxisnahe Umsetzungen in konkreten virtuellen Inbetriebnahmen helfen den Komponentenherstellern, diese Standardisierungsarbeiten zielgerichtet zu beschleunigen“, analysiert Christian Scheifele die aktuelle Situation.
Die Digitalisierung gestalten
Mit dem Twinstore, einem Online-Store für Simulationsmodelle, stellt Scheifele in Zusammenarbeit mit Komponentenherstellern bereits heute 4D-Produktkataloge mit virtuellen Komponentenmodellen, also digitale Zwillinge von realen Hardwareprodukten, für den Einsatz in konkreten virtuellen Inbetriebnahmen zur Verfügung. „Man muss voraus gehen, um die Digitalisierung im Maschinen- und Anlagenbau zu gestalten.“
Uwe Weiss ist ganz seiner Meinung und macht daher virtuelle Modelle seiner Produkte über den Twinstore verfügbar. „Wir sind ein typischer Vertreter des Maschinenbaus. Wir lieben unser Produkt. Aber wir sehen auch den Weg, den wir beschreiten müssen. Digitalisierung birgt Risiken, aber die Chancen für eine Differenzierung zum internationalen Wettbewerb und für eine zukunftsfähige Geschäftstätigkeit überwiegen.“
Deshalb will Uwe Weiss gemeinsam mit den anderen Digitalisierungsmachern das Triple M Format weiter vorantreiben, um sich vertrauensvoll auszutauschen und Hemmnisse, Stolpersteine und Erfolge zu besprechen. „Unser gemeinsames Ziel ist, für unsere Kunden Mehrwerte zu generieren, sie besser und effizienter zu machen. Und damit vermeiden wir zugleich, dass wir als Komponentenlieferant zukünftig nur noch nach dem Preis beurteilt werden – denn die Komponente kann so viel mehr zum Gesamtsystem beitragen als nur fehlerfrei zu funktionieren.“
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