Herr Bürger, Sie sind seit Anfang 2020 Leiter der Division Automation Products and Solutions (APS) bei Weidmüller. Was gehört denn alles zu Ihrem Bereich APS?
Bürger: In der Division APS haben wir alle Themen rund um die Automatisierungstechnik und das IIoT, also das Industrial Internet of Things, gebündelt. Unser Anspruch lässt sich mit dem Slogan „From Data to Value“ ganz gut beschreiben: Wir liefern dem Kunden die ganze Wertschöpfungskette rund um seine Daten – von der Datenerfassung über die Datenkommunikation und Datenverarbeitung bis zur Datenanalyse.
Weidmüller ist ja als Spezialist für Elektronik und elektrischen Verbindungstechnik bekannt. Wie kommt man da zu den Daten?
Bürger: Das war ein längerer Prozess. Weidmüller hat 2013 mit u-remote sein modulares I/O System eingeführt. Und dieses Automatisierungs-Portfolio wurde kontinuierlich ausgebaut. Dazu gehört der offene, individuell skalierbare Automatisierungsbaukasten u-mation ebenso wie die Anbindung an Cloud-Systeme und selbstverständlich auch die Möglichkeiten zur Echtzeitkommunikation. Letztlich ist das Ganze eine logische Fortsetzung unserer bisherigen Aktivitäten. Wir haben sehr früh registriert, dass die reine Komponente künftig eine ganz andere Rolle in der Automatisierung spielen wird. Der moderne Maschinen- und Anlagenbau zeichnet sich durch hohe Flexibilität, dezentrale Strukturen und kommunikationsfähige Komponenten aus, das bedingt komplexe Automatisierungskonzepte wie auch eine schnelle und zuverlässige Datenübertragung.
Wie ist mit APS Ihre Stellung im Gesamtkonzern? Sind Sie Weidmüllers „schicke IoT-Spielwiese“ oder ein echter strategischer Pfeiler des Geschäfts?
Bürger: APS ist ganz klar eine der drei strategischen Zukunftssäulen bei Weidmüller, neben den beiden historisch etablierten Divisionen Cabinet Products, wozu auch die Reihenklemmen zählen, und Device und Field Connectivity, zu dem die Leiterplatten-Anschlusstechnik zählt. APS ist zwar der jüngste Geschäftsbereich, aber sicher keine Spielwiese, sondern ein genauso wichtiger strategischer Pfeiler wie die etablierten Divisionen. Unsere Aufgabe ist es das Automations- und IIoT-Geschäft weiter zu entwickeln und die relevanten Themen mit den anderen Divisionen abzugleichen – beispielsweise denken wir das Thema „digitale Plattformen“ für die anderen Divisionen mit.
Von der Datenerfassung über die Datenkommunikation und Datenverarbeitung bis zur Datenanalyse: Mit welchen Produkten decken Sie denn welches Thema ab?
Bürger: Für das Datenerfassen sind beispielsweise unsere modularen I/O-Systeme u-remote im Einsatz, die mittlerweile sehr verbreitet sind. Hinzu kommt ab Herbst ein Vibrationssensor, den wir u-sense nennen. Der Fokus liegt dabei auf sicheren und schnell integrierbaren Lösungen für das Industrial IoT – speziell für den einfachen Retrofit. Mit u-sense können Daten vom Sensor in die Cloud übertragen werden. Mittels Dashboards erhält man einen Überblick über Maschinendaten und zusätzliche Analyticslösungen bieten einen Blick in die Zukunft. Dadurch lassen sich beispielsweise Motoren oder Pumpen überwachen, Wartungen optimieren oder ungeplante Ausfallzeiten verhindern – die Effizienz der Produktionsanlagen wird gesteigert.
Und wie adressieren Sie Datentransport und Datenverarbeitung?
Bürger: Für das Thema Datenverarbeitung positionieren wir unseren u-control Baukasten mit u-control Studio und u-control web. Diese webbasierten Steuerungslösungen können als klassische SPS-Automatisierung eingesetzt werden, aber auch für die Datenverarbeitung dicht am Prozess. Daneben haben wir auch ein IoT-Gateway in unserem IIoT-Baukasten, das für Datenverarbeitung und den Datentransport in die Cloud genutzt werden kann, sowie Switches und Router für den Datentransport. Nicht zu vergessen die Kommunikations-Services rund um u-link, die z.B. Remote Access ermöglichen.
Machen Sie denn mit u-control Siemens und Beckhoff Konkurrenz im SPS-Geschäft? Oder ist das vor allem ein Baustein für die IoT-Datenvorverarbeitung an der Maschine?
Bürger: Sowohl als auch. u-control ist ein sehr wichtiger Portfolio-Baustein in unserem IIoT-Angebot, der sich dadurch auszeichnet, dass man sehr effizient Maschinen automatisieren kann. Aber klar sind wir so realistisch und können uns selbst sehr gut einschätzen, dass wir nicht davon ausgehen, damit nun in einer Liga mit den ganzen „SPS-Größen“ zu spielen.
Fehlt noch die Datenanalyse: Was bringen Sie hierfür ins Spiel?
Bürger: Für die Datenanalyse haben wir mit Weidmüller Industrial AutoML ein herausragendes Tool im Portfolio, das bereits viele Innovationspreise gewonnen hat. Das Besondere am Weidmüller Industrial AutoML Tool ist, dass Kunden damit Machine Learning ganz einfach anwenden können. Die Komplexität ist für den Anwender nicht sichtbar. Um das Machine Learning zu nutzen, muss der Anwender kein Data Scientist sein, sondern kann allein mit seinem Prozess-Knowhow die Daten seiner Maschine oder seines Prozesses auswerten.
Habe Sie für das Automated Machine Learning Beispiele und Anwendungserfolge?
Bürger: Ja, beispielsweise hat die Firma GEA am Standort Oelde einen entsprechenden „Pilot“ initiiert. Mit der neuen Automated Machine Learning Software von Weidmüller möchte das Unternehmen sein Serviceangebot in punkto Anlagen erweitern und ausbauen. Das Ziel war die automatische Erkennung von Anomalien im Verhalten von Separatoren in der Milchindustrie.
Bauen Sie denn auch eine eigene Weidmüller Cloud auf?
Bürger: Nein, wir bieten keine eigene Cloud an, sondern sind hier sehr partnerschaftlich unterwegs und arbeiten mit den Cloud-Anbietern und Softwarehäusern zusammen. Deren gute Basis wollen wir nutzen, um uns mit unseren Entwicklungen ganz auf spezielle Dienste zu konzentrieren, welche einen konkreten Mehrwert in den Use Cases unserer Kunden schaffen. Dazu gehören zum Beispiel der Fernzugriff und das Energiemanagement. Ein gutes Beispiel ist auch das Automated Machine Learning (AutoML). Diesen Dienst entwickeln wir aktuell in einer Partnerschaft mit Microsoft weiter, er wird in Kürze auch über Microsoft Marktplätze zur Verfügung stehen. Offenheit bedeutet für uns eben auch, dass wir unsere Produkte in unterschiedliche Umgebungen integrieren und dass diese als Cloud Services auf unterschiedlichen Plattformen laufen.
Überhaupt gibt es ja aktuell eine Debatte, ob nun das Cloud Computing oder das maschinen- und fabriknahe Edge Computing der bessere Ansatz ist. Wie positionieren Sie sich hier?
Bürger: Vor ein paar Jahren gab es große Diskussionen, ob nun die zentrale oder die dezentrale Automatisierung das bessere Konzept ist. Letztlich wurde es ein Mix aus beiden Ansätzen, weil es für beide Konzepte gute Gründe gibt. Wir sind sicher, dass es so ähnlich auch bei den Konzepten zur Datenhaltung ausgehen wird: Ob Edge oder Cloud, darauf wird es keine Schwarz-Weiß-Antwort geben, sondern wir werden auch in Zukunft die ganze Bandbreite an Lösungsoptionen benötigen.
Abgesehen von den Produkten: Wo stehen denn Ihre Kunden beim Thema IIoT? Wollen die Kunden schon Daten mit Machine Learning analysieren? Oder sind die Kunden erst dabei, überhaupt Daten einzusammeln?
Bürger: Nun, der Anwendungsgrad ist sehr unterschiedlich, wir haben die ganze Bandbreite. Manche Kunden fragen uns ganz grundsätzlich nach Hilfe und wir setzen dann erstmal ein Beratungsprojekt und einfache Proof of Concepts auf. Andere Kunden wiederum haben bereits sehr klare Vorstellungen und haben ihre Daten bereits sehr strukturiert aufbereitet. Diese suchen bei uns nur ganz gezielte Unterstützung mit einzelnen Produkten, etwa dem Automated Machine Learning. Unsere Stärke liegt darin, für den Kunden das jeweils passende Angebot zu finden.
Sprechen Sie mit dem IIoT-Portfolio bevorzugte Kunden an?
Bürger: Wir adressieren die ganze Bandbreite der Weidmüller-Kunden vom Maschinen- und Anlagenbau über Prozesstechnik und Intralogistik bis zu Wind und Photovoltaik oder Gebäudeautomation. Und natürlich wollen wir mit dem IIoT-Portfolio unsere Mehrwerte auch ganz neuen Kunden zur Verfügung stellen.
Weidmüller Interface GmbH & Co. KG
Klingenbergstraße 26
32758 Detmold, Deutschland
Kontakt
Dr. Thomas Bürger hat an der Universität Stuttgart Maschinenbau studiert und am dortigen Institut für Steuerungstechnik promoviert. Danach folgten 15 Jahre bei Bosch Rexroth in diversen Funktionen in Entwicklung und Projektmanagement, zuletzt als Vice President Digital Platform. Seit 1. Januar 2020 ist Bürger Leiter der Division Automation Products and Solutions (APS) bei Weidmüller.
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