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So geht MRK: 5 Erfolgsfaktoren für die Mensch-Roboter-Kooperation

Tipps für eine erfolgreiche MRK-Einführung
So geht MRK: 5 Erfolgsfaktoren für die Mensch-Roboter-Kooperation

Wie gestaltet man das Miteinander von Mensch und Roboter? Welche Erfolgsfaktoren zeichnen eine erfolgreiche MRK-Einführung (Mensch-Roboter-Kooperation) aus? Fünf Tipps aus der Praxis. Prof. Dr.-Ing. Markus Glück, Hochschule Aalen

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Robotik ist aus der industriellen Fertigung nicht mehr wegzudenken. Ohne die vielen Roboter, die uns die ergonomisch anspruchsvollen, schmutzigen, monotonen, belastenden und gefährlichen Arbeiten abnehmen, wären wir am Standort Deutschland nicht mehr wettbewerbs- und zukunftsfähig. Und dies nicht nur in der Automobilproduktion, sondern zunehmend auch im produzierenden Mittelstand. Zudem sind Cobots und mobile Serviceroboter verstärkt als Helfer auch in Logistik, Gastronomie und Pflege gefragt, um Menschen unmittelbar bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen. Aus dem üblichen Nebeneinander von Menschen und Robotern hinter Schutzzäunen wird ein unmittelbares Miteinander in geteilten Arbeitsräumen.

Die Mensch-Roboter-Kooperation (MRK) ist daher ein zentraler Baustein der flexiblen Produktion. Vor allem vor dem Hintergrund alternder Belegschaften und des akuten Fachkräftemangels ist der Kollege Roboter gefragt als spürbare ergonomische Entlastung für die Belegschaft. Die Einführung der Mensch-Roboter-Kooperation ist aber ein nicht zu unterschätzender zeitintensiver Veränderungsprozess, der ein erhebliches Maß an Überzeugungsarbeit erfordert. Fünf Erfolgsbausteine helfen beim Gelingen der MRK-Einführung.

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1. Mitarbeiter mit MRK nicht überfordern

Die Einführung von Roboterkollegen in einem Unternehmen – insbesondere der erstmalige Aufbau eines MRK-Roboterarbeitsplatzes – ist mehr als das reine Beschaffen eines Produktionssystems, oder das Installieren einer weiteren Maschine.

Viele betroffene Menschen haben Ängste, über die sie nicht immer offen sprechen. Sie fürchten sich vor Arbeitsplatzverlusten. Sie haben Angst, die neuen Roboter nicht beherrschen zu können oder dem neuen Arbeitstempo nicht gewachsen zu sein. Nicht immer sprechen sie diese Ängste offen an. Oft versuchen sie sogar, durch Manipulation und Sabotage Einführungsprozesse zu torpedieren.

Machen Sie sich bewusst, dass Ihre Führungskräfte in vielerlei Hinsicht Neuland betreten müssen. Sie müssen sich mit Normanforderungen an einen sicheren Roboterbetrieb auseinandersetzen, intensiv Vertrauensarbeit leisten und überzeugend argumentieren. Überfordern Sie dabei Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht.

Für die erste Realisierung eines MRK-Arbeitsplatzes ist vor allem die Auswahl der richtigen Applikation von entscheidender Bedeutung. Häufig neigt man dazu, sich gleich an eine komplexe Aufgabe heranzuwagen. Der Kollege Roboter soll ja zeigen können, was er kann. Doch das ist ein großer Fehler. Suchen Sie gezielt im Zuge einer Arbeitsplatzbewertung nach Arbeitsprozessen, die bei den Werkerinnen und Werkern verhasst sind.

Meist sind dies monotone, wenig anspruchsvolle oder ergonomisch belastende Arbeitsschritte. Konzentrieren Sie sich auf diese! Was Erleichterung schafft, findet Anklang. Und achten Sie ganz besonders darauf, dass die Aufgabe nicht komplex ist und auch nicht Teil einer besonders stark verketteten Prozessabfolge ist, die möglicherweise noch zeitkritisch zu erfüllen ist. Zu viel Mut bei der Auswahl der ersten Applikation wird meistens mit viel Lehrgeld und schnellem Scheitern bezahlt.

2. Faktor Mensch entscheidet

Über Erfolg oder Misserfolg einer MRK-Einführung entscheidet vor allem der Faktor Mensch. Vor allem die vom Wandel betroffenen Werkerinnen und Werker müssen sich Schritt für Schritt mit den für sie ganz neuen Robotern anfreunden dürfen. Im praktischen Erleben lernen sie, dass sie die Arbeitsprozesse beherrschen, die Abläufe bestimmen und sich auf die Funktion der Sicherheitssysteme bei der Interaktion verlassen können.

Geduld, Fingerspitzengefühl und Respekt vor oft unausgesprochenen Ängsten sind unabdingbar nötig. Geben Sie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Zeit, sich mit dem neuen Roboterkollegen anzufreunden. Lassen Sie die Menschen den Roboter einfach ausprobieren und hierbei Sicherheit gewinnen. Die neuen Roboterkollegen müssen Akzeptanz finden!

Denken Sie frühzeitig daran, die Verantwortlichen für Arbeitssicherheit von Beginn Ihrer Überlegungen an ins Boot zu holen. Letztere stehen vor einer gewaltigen Aufgabe. Sie müssen sich in ein umfassendes Regelwerk und ein nicht ganz einfaches Normengerüst einarbeiten. Dies erfordert Zeit und die Möglichkeit, sich in speziellen Trainingsmaßnahmen weiterzuentwickeln und auf einen umfangreichen Zertifizierungsprozess vorzubereiten. Vor allem die Validierung des Sicherheitskonzepts stellt eine besondere Herausforderung bei der Realisierung von MRK-Applikationen dar.

Vergessen Sie auch nicht, den Betriebsrat frühzeitig einzubeziehen. Bedeutsame Veränderungen der Fertigungsorganisation sind im Rahmen der Mitbestimmung zustimmungspflichtig. Betriebsräte sind immer wertvolle, meist für Neuerungen offene Multiplikatoren für die Überzeugungsarbeit und das Erreichen möglichst vieler Werkerinnen und Werker. Gegen eine Blockadehaltung, wenn sie erst einmal entstanden ist, wird es schwer, erfolgreich und schnell voranzukommen.

3. Sicherheit geht vor

Damit Roboter ohne trennende Schutzvorkehrungen eingesetzt werden können, müssen hohe Sicherheitsanforderungen erfüllt werden, denn es darf unter keinen Umständen zu schadhaften Kollisionen für Mensch und Maschine kommen. Vor allem die Rechtssicherheit beim Einsatz von MRK-Arbeitsplätzen im Produktionsalltag ist für Werkleiter und Produktionsverantwortliche ein zentrales Thema. Zudem sollen die eingesetzten Roboter natürlich dazu beitragen, dass in Summe effizienter produziert werden kann.

Kenntnisse zum normenkonformen und damit rechtssicheren Betrieb einer MRK-Applikation sind daher unabdingbar. Räumen Sie Sicherheitsaspekten breiten Raum ein und lassen Sie sich nicht zu schnellen oder ganz einfachen Lösungen hinreißen. Suchen Sie bei der ersten Realisierung einer MRK-Applikation unbedingt Expertenrat.

Die normativen Grundlagen bilden allgemeine Normen wie die IEC 61508, die IEC 62061 sowie die ISO 13849–1 und –2. Darüber hinaus sind die ISO 10218–1 und –2 zur Sicherheit von Industrierobotern und speziell die ISO/TS 15066 für kollaborierende Roboter und Robotikgeräte.

Keine MRK-Applikation gleicht der anderen. Es ist daher immer eine individuelle Risikobeurteilung für eine CE-Kennzeichnung erforderlich. Vor allem Kraft, Geschwindigkeit, Bewegungsbahnen des Roboters und das Werkstück inklusive Werkstückträger stellen besondere Gefahren für den Werker dar. Diese müssen entweder durch die Nutzung inhärenter Schutzmaßnahmen und durch die Anwendung zusätzlicher Maßnahmen zur Risikominderung beschränkt werden. Das Herzstück einer Konformitätsbewertung ist die Erstellung des Sicherheitskonzepts und dessen Validierung unter allen denkbaren Einsatzszenarien.

4. Zusatznutzen der MRK suchen

Mit jedem Robotikprojekt sind selbstverständlich Erwartungen an die Verbesserung der Produktivität und den Nutzen des Robotereinsatzes verknüpft. Verengen Sie Ihren Blick – vor allem bei ersten Installationen – nicht auf den gewohnten ökonomischen Bewertungsrahmen. Vor allem Erstprojekte sind bei MRK-Applikationen mit einem nicht zu unterschätzenden zeitlichen und finanziellen Aufwand verbunden. Übliche Amortisationszeiten unter zwei Jahren sind am Anfang schwer bis kaum zu erreichen.

Wichtig ist es daher, systematisch vorzugehen, indem zunächst die Eignung für den Einsatz der MRK anhand spezifischer Auswahlkriterien im Rahmen einer Arbeitsplatzbewertung geprüft wird. Dazu zählen unter anderem der Programmieraufwand beziehungsweise die Möglichkeit zur intuitiven Bedienerführung, der Integrationsaufwand, die Möglichkeit, intuitiv zu trainieren, zu handhaben und zu quittieren, moderate Taktanforderungen sowie die Technikaffinität der betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Eine klassische, rein betriebswirtschaftliche ROI-Bewertung wird speziell bei MRK-Applikationen nicht unbedingt zu einer objektiven Nutzenanalyse führen. Denken Sie daher daran, bei Ihrer Kosten- und Nutzenanalyse nicht nur die Kosten der Roboterbeschaffung, Inbetriebnahme und Integration sowie die Ausgaben für Sicherheitsvorkehrungen und Zertifizierung zu berücksichtigen. Diese werden die möglichen Einsparungen infolge reduzierter Personalkosten und Produktivitätssteigerungen nicht überzeugend kompensieren.

Sie müssen neben den unmittelbaren Aufwänden und Kosten weitere Faktoren in Betracht ziehen, die MRK als Technologie zur Teilautomatisierung von Arbeitsplätzen attraktiv machen – zum Beispiel die mögliche Flexibilisierung der Produktion etwa in Form der Mehrmaschinenbedienung, die Erhöhung der Anlagenverfügbarkeit, die Verbesserung der Qualität durch Prozessoptimierungen und Robotereinsatz. Von zentraler Bedeutung wird jedoch ein Punkt sein, den man kaum in Geld ausdrücken kann: die erhöhte Mitarbeiterzufriedenheit und positiven Folgen für die Gesundheit der Werkerinnen und Werker und die Mitarbeiterfluktuation in Ihren Produktionsbereichen.

5. Mensch gibt immer den Takt vor

Ganz wichtig: Der Mensch gibt den Takt in allen Phasen des Einführungsprozesses und beim Roboterbetrieb vor. Die betroffenen Werkerinnen und Werker dürfen zu keiner Zeit vom Roboter über Gebühr getrieben, gegängelt oder von ständigen Fehlersignalen genervt werden! Dies ist ein wichtiger, unbedingt einzuhaltender Grundsatz einer verantwortungsbewussten menschzentrierten Roboter- und Maschinenethik.

Dieses Tempolimit beginnt bei der Heranführung an die neue Aufgabe. Die davon betroffenen Menschen müssen genügend Zeit zum Kennenlernen eines Roboters bekommen. Sie müssen Gelegenheit bekommen, die Funktion der Sicherheitssysteme zu testen und Vertrauen in die sichere Zusammenarbeit mit dem Roboter in gemeinsam genutzten Arbeitsräumen zu gewinnen.

Achten Sie auch darauf, bei Vorführungen und beim immens wichtigen Erstkontakt der Betroffenen mit dem Roboter nicht allzu schnelle Bewegungen zu fahren. Sorgen Sie für eine möglichst geringe Geräuschentwicklung, sichere Puffer und Rückzugszonen.

Generell wichtig ist es, bei einer Einführung der Mensch-Roboter-Kooperation Mut und Pragmatismus an den Tag zu legen, ohne leichtsinnig zu werden und sich zu übernehmen. Wer ungern mit dem Rücken zu einer Tür sitzt, weiß, wie Menschen sich fühlen, die einem Roboter bei der Arbeit den Rücken zukehren müssen. Vermeiden Sie derartige Einsatzbedingungen. Bauen Sie Ihre erste Roboteranwendung in einem Testfeld abseits häufig genutzter Verkehrswege auf.

https://automationspraxis.industrie.de/cobot/


Buchempfehlung: Mensch-Roboter-Kooperation erfolgreich einführen

Das praxisbezogene Fachbuch „Mensch-Roboter-Kooperation erfolgreich einführen“ beantwortet die meisten mit einer MRK-Einführung aufkommenden Fragen ausführlich und anschaulich. Der Autor Prof. Dr.-Ing. Markus Glück erklärt wesentliche Begriffe, Normen und Konzepte. Einsteigern und Fortgeschrittenen vermittelt sein praxisorientierter Leitfaden auf anschauliche Weise alles Notwendige, um MRK erfolgreich im betrieblichen Alltag einzuführen. Es enthält Orientierungshilfen zur Arbeitsplatzbewertung und Roboterauswahl, die ganz konkret bei der Projektarbeit unterstützen.

Mensch-Roboter-Kooperation erfolgreich einführen, Springer Verlag, 266 Seiten, ISBN 978–3–658–37611–6, 49,99 Euro


Zum Autor

Prof. Dr.-Ing. Markus Glück ist Professor an der Fakultät Optik und Mechatronik der Hochschule Aalen, Lehrgebiet „Automatisierung und Robotik in der Fertigungstechnik“. 2023 wurde er mit dem Lehrpreis der Hochschule ausgezeichnet. Von 2016 bis 2021 war Markus Glück Chief Innovation Officer sowie Geschäftsführer Forschung und Entwicklung der Schunk GmbH & Co. KG Spanntechnik und Greifsysteme.


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