Bei vielen Anbietern rückt der Lösungsgedanke stärker in den Fokus. Gehen Sie bei Schunk ebenfalls mehr in Richtung Applikation statt Komponente?
Höpfl: Das eine schließt ja das andere nicht aus, im Gegenteil. Denn Komponenten sind die Basis für Systeme, sie sind Teil davon. Wir haben eine einmalig starke Position im Bereich der Komponenten und eine breite Synergie innerhalb unserer Portfolios und die nutzen wir. Mit unserer Engineering-Expertise betrachten wir die Aufgaben unserer Kunden ganzheitlich. Die Systemtechnik ist hierbei ein wachsender Bereich bei Schunk. Dadurch können wir kundenindividuelle Komponenten und Systeme anbieten.
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Höpfl: Klar. Vor ein paar Monaten fragte ein Kunde, mit dem wir eine langjährige, intensive Partnerschaft pflegen, ein Handlingsystem für Bremsscheiben an. Er ist Spezialist im Bereich Honbearbeitung und erweitert sein Geschäftsmodell um die Bremsscheibenbearbeitung nach Euro 7. Wir haben uns intensiv mit dem Handhabungsprozess auseinandergesetzt und für den Kunden eine optimale Gesamtlösung entwickelt, die nicht nur das reine Greifen, sondern auch den Transport zum nächsten Bearbeitungsschritt per Achsportal beinhaltet. Alles kommt von Schunk aus einer Hand: Projektmanagement, Konstruktion, Fertigung und Montage. Geschwindigkeit und Prozesskompetenz sind unsere Stärke im Engineering und dieses Know-how bauen wir neben dem exzellenten Komponentenportfolio weiter aus.
Mit welchem Ziel?
Höpfl: Wir wollen die Fertigungsschritte unserer Kunden und ihre Herausforderungen verstehen und setzen uns intensiv in der Projektierung damit auseinander. Teilweise entstehen im Engineering auch völlig neue Prozesse und Produkte, z. B. Batteriezellengreifer in der Elektromobilität oder Handhabungssysteme für Wafer. Aufgrund vieler Hundert Projekte pro Jahr können wir als Partner sehr schnell aus bestehenden Technologien auf den Kundenbedarf transferieren und bieten so eine hohe Geschwindigkeit der Projektumsetzung.
Sind auch die Colabs Teil Ihrer Lösungsorientierung?
Höpfl: Ja. Die Colabs sind Teil der Applikationsstrategie bei Schunk. Hier bauen wir konkrete Aufgaben unserer Kunden realitätsnah nach und zeigen Lösungsmöglichkeiten auf. Der Kunde kann seine Automatisierungsaufgabe live ausprobieren und sich vorab von der Machbarkeit überzeugen. Das gibt Sicherheit vor der Prozessumstellung – oder erleichtert überhaupt erst einmal den Einstieg. Denn rund 95 Prozent der KMU nutzen noch gar nicht das volle Potenzial von Automatisierungstechnik.
Was passiert genau in den Colabs?
Höpfl: Die Colabs sind Applikationszentren, in denen jeder Kunde die Möglichkeit hat, in definierten Anwendungsfeldern Validierungen an verschiedenen Leichtbau- oder Industrierobotern durchführen zu lassen. Testdokumentationen, Livedemonstrationen, Kundenschulungen – all das findet hier statt. Hier kann sich der Colab-Nutzer an die beste Lösung seiner Aufgabe „herantasten“ und bekommt Sicherheit für seinen Schritt in die Automatisierung. Von diesem Erfahrungsaustausch am konkreten Objekt profitieren auch wir und können die hier entwickelten Lösungen auf andere Anwendungsfelder übertragen.
Wie viele Colabs gibt es bereits?
Höpfl: Mittlerweile hat Schunk zwölf Colabs in Betrieb, die sich über Europa, Asien und den amerikanischen Kontinent verteilen. Allein im letzten Jahr kamen vier neue Colabs hinzu: in den Niederlanden, in der Slowakei, in Japan und in Brasilien. Mit den Colabs sind wir nah an unseren Kunden und Partnern und gestalten gemeinsam neue Automatisierungsfelder in Zukunftsmärkten, z. B. das Batteriezellenhandling. Nächstes Jahr kommen weitere Colabs dazu.
Geht es in den Colabs vor allem um Cobot-Anwendungen?
Höpfl: Cobot-Anwendungen sind ideal, weil sich viele Applikationen in unseren Kernbereichen Pick & Place, Zuführtechnik, Bauteilvereinzelung, Werkstückaufnahme und -ablage sowie Vision-Anwendungen damit abdecken lassen. Sie sind außerdem einfach zu programmieren und eignen sich perfekt für den Einstieg. In den Colabs sind aber auch einige Industrieroboter mit einer Traglast bis 70 Kilogramm im Einsatz. Vor allem der Bereich der robotergestützten Teilebearbeitung werden größere Robotertraglasten zum prozesssicheren Entgraten, Schleifen und Polieren benötigt.
Das roboterbasierte Bearbeiten steht bei Schunk ja ohnehin zunehmend im Fokus. An welche Anwendungen und Zielgruppen denken Sie dabei vor allem?
Höpfl: In sehr vielen Branchen ist die Bauteil- und Oberflächenbearbeitung ein wesentlicher Prozessschritt in der Fertigung. Es geht vor allem um das Entgraten, Schleifen und Polieren von Bauteilen bei Anwendungen in der Metall- und Kunststoffverarbeitung, der Elektronikindustrie, der Medizintechnik und zunehmend auch bei der Nachbearbeitung im Bereich 3D-Druck. Oft geschehen diese Prozesse noch manuell, weil sie viel Erfahrung und Know-how erfordern, man könnte auch sagen Fingerspitzengefühl. Aber steigende Qualitätsanforderungen und der Fachkräftemangel sorgen dafür, dass diese Bearbeitungsprozesse zunehmend automatisiert werden. Wir sehen konkret – auch dank unserer Colabs –, dass Kunden hier nach automatisierten Lösungen suchen.
Schnüren Sie auch fertige Applikationspakete für bestimmte Anwendungen?
Höpfl: Ja. Aus dem großen Portfolio schnüren wir in der Kundenberatung jeden Tag individuell auf unterschiedliche Kundenbedürfnisse zugeschnittene Pakete und Produkt-Bundles. Schwerpunkte bei den Applikationspaketen sind vor allem flexible Bauteilzuführung, die Handhabungstechnik sowie Entgrat-, Schleif- und Polieranwendungen. Mit dem Applikations-Kit MTB etwa bieten wir maßgeschneiderte Pakete für die Werkzeugmaschinenbeladung und Werkstückspannung an.
Manche Greiftechnikhersteller bauen ihr Portfolio verstärkt mit Software aus. Sie auch?
Höpfl: Schunk hat bereits vor 20 Jahren erste Vision-Systeme zusammen mit den ersten mechatronischen Greif- und Drehmodulen eingeführt. Das waren noch sehr einfache Systeme. Das Thema hat aber durch die Möglichkeiten der KI völlig neue Dimensionen angenommen. Heute stellen wir mit unserem 2D-Grasping-Kit die performanteste Plattform für Bauteilerkennung und Greifplanung zur Verfügung. Wir realisieren Erkennungszeiten unter einer Sekunde und können ein völlig flexibles Teilespektrum mit hoher Ausbringung von Förderbändern, Rotationsförderern oder flexiblen Lösungen wie der Flexibowl handhaben. Die komplette Entwicklung dafür liegt bei uns im Haus, die nächsten KI-basierten Funktionen sind bereits in Planung.
Welche Rolle spielt denn generell das Thema KI für Schunk?
Höpfl: Natürlich hat KI für Schunk zunehmende Bedeutung. Deshalb engagieren wir uns von Beginn im Heilbronner Innovation Park Artificial Intelligence (Ipai), das Technologien und Menschen an einem Ort zusammenbringt, um Wissen und Erfahrung auszutauschen.
Sollen KI-basierte Lösungen wie das 2D-Grasping-Kit also noch ausgebaut werden?
Höpfl: Auf der Produktseite nutzen wir eigene KI-Technologien vor allem in unserem Vision-basierten 2D-Grasping-Kit. Darüber hinaus bietet KI auch in internen Prozessen zahllose Möglichkeiten der Effizienzsteigerung. Der Funktionsumfang wird monatlich erweitert, wir arbeiten hier in agilen Sprints. Zukünftig können wir uns auch vorstellen, neben der 2D-Greifplanung weitere Applikationsfelder mit KI-Basis zu erschließen. Die KI-Möglichkeiten sind – aus heutiger Sicht – nach oben hin offen.
Schunk SE & Co. KG
Einfache Inbetriebnahme mit Plug & Work
Die einfache Inbetriebnahme ist ein integraler Bestandteil der Produktstrategie bei Schunk. Unter dem Stichwort Plug & Work bieten die Lauffener Plug-ins und elektromechanische Baugruppen, die sich nahtlos in die Ökosysteme von Fanuc, Kuka, Universal Robots, ABB, und Yaskawa einfügen lassen. Die beiden elektrischen Greiferbaureihen EGK und EGU gibt es beispielsweise in abgestimmten Bundles für die bereits genannten Roboterhersteller. Mit dem 2D-Grasping-Kit wurde dieses Ökosystem jüngst um ein KI-basiertes Visionsystem ergänzt, das intelligente Objekterkennung und flexibles Greifen vereint.
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