Im Zuge der Industrie 4.0 ist eine permanente Zustandsüberwachung gerade bei werthaltigen und komplexen Investitionsgütern ein großes Ziel. „Im starken Kontrast zu der zustandsbasierten Überwachung steht jedoch die derzeitige manuelle Reparatur dieser Komponenten, welche oft nur von der subjektiven Einschätzung des bearbeitenden Mitarbeiters und so von dessen Ausbildung und Erfahrung abhängig ist.“, sagt Nicolas Nübel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) der Leibniz Universität Hannover.
Das wollen die Forscher ändern: Um bei komplexen Investitionsgütern wie Triebwerken oder Schienenfahrzeugen die Lebensdauer durch eine zustandsbasierte Reparatur zu verlängern, müssen die Schäden erfasst sowie kategorisiert werden und auf dieser Basis eine individuelle Bearbeitung durchgeführt werden. „Alles autonom und unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Aspekte sowie der Kundenanforderung hinsichtlich Termintreue und zukünftigen Einsatzszenarien.“
Zur „Regeneration von komplexen Investitionsgütern“ werden im Rahmen des Sonderforschungsbereiches (SFB) 871 eine Vielzahl von Forschungsprojekten am Beispiel des Flugtriebwerkes interdisziplinär durchgeführt. „Das Triebwerk weist einerseits in den Modulen und Komponenten eine hohe Komplexität hinsichtlich technischer Wechselwirkungen auf und erfährt andererseits individuelle Einsatz- und Umgebungsbedingungen“, erläutert Nübel. Um die Machbarkeit eines automatisierten Reparaturprozesses für Turbinenschaufeln nicht nur theoretisch zu betrachten, werden an der Leibniz Universität Hannover (LUH) sämtliche Technologien zur Regeneration als „proof-of-concept“ in einem Systemdemonstrator zusammengefügt.
Der Regenerationsprozess beginnt dabei mit der bauteilschonenden Demontage der Turbinenschaufel, gefolgt von der Zustandsaufnahme, der technischen Simulation und der wirtschaftlichen Bewertung bis hin zur Durchführung der Reparatur und der anschließenden Qualitätssicherung. Die gesamte Regeneration ist hierfür in zwei Ebenen eingeteilt, die reale und die virtuelle Ebene.
Mobiler Roboterarm
Die reale Ebene umfasst die einzelnen Arbeitsstationen (Prozesszellen) und alle materiellen Vorgänge. Die notwendige Flexibilität zwischen diesen Prozesszellen schafft ein mobiles System für den Werkstücktransport. Das mobile System verfügt über einen kollaborativen Roboterarm, wodurch an den einzelnen Prozesszellen auf ein Handhabungssystem verzichtet werden kann. So kann die Prozesskette flexibel um weitere Prozesszellen erweitert werden und die Werkstücke können den Reparaturprozess in beliebiger Reihenfolge durchlaufen.
In der virtuellen Ebene werden alle Entscheidungen bezüglich des Reparaturpfades getroffen sowie Simulationen durchgeführt und Fertigungsaufträge geplant. Das beinhaltet die Prozessplanung, Simulationen zur Performance und Lebensdauer sowie die Wahl des optimalen Regenerationspfades. Das Besondere: Diese Simulationsverfahren werden üblicherweise nur in der Produktentwicklung, nicht aber in der Produktregeneration angewendet.
Leitstand steuert
Sämtliche Prozesse der beiden Ebenen (virtuell und real) werden von einem zentralen Leitstand gesteuert. Um die reale mit der virtuellen Ebene zu verbinden, dient ein digitaler Zwilling. Neben den Geometriedaten sind in diesem z. B. auch die Art und Position der Schäden, Simulationsergebnisse sowie Kundenanforderungen hinterlegt. „Er ist die kontinuierlich aktualisierte Grundlage für die Entscheidungen im Reparaturpfad, die in der virtuellen Ebene getroffen werden sowie aller Bearbeitungs- und Simulationsschritte.“ Die erste Vorführung dieses Systemdemonstrators wird im November 2020 sein.
Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen,
Leibniz Universität Hannover