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Wie steht es um KI-Start-ups in Deutschland?

Potenzial in Robotik und Automation ist groß, die Rahmenbedingungen aber eher schlecht
Wie es in Deutschland um KI-Start-ups steht

Wie es in Deutschland um KI-Start-ups steht
KI-Know-how ist gefragt - gerade im Maschinenbau. Ein KI-Start-up lässt sich aber nicht einfach auf Knopfdruck starten: Man benötigt Expertise, Geld und das passende Umfeld. Bild: Adobe Stock
Künstliche Intelligenz für Robotik, Maschinenbau und Produktion ist sehr gefragt. Gute Zeiten für KI-Start-ups? Optimal sind die Rahmenbedingungen in Deutschland nicht.

Autor: Klaus Wagner

Eine gute Ausgangssituation für KI-Start-ups für Robotik und Automation sieht Dr. Johannes Winter, Leiter der Geschäftsstelle Plattform Lernende Systeme bei Acatech in München. „In diesen Branchen suchen viele Unternehmen nach den jungen Hightech-Firmen, um Produkte durch KI zu veredeln.“ Auch der VDMA betont die hohe Relevanz von KI, denn diese lässt sich nicht nur für die Steuerung von Maschinen, sondern auch in Assistenz- und Diagnosesystemen einsetzen.

Um 62 % ist daher die Zahl der KI-Start-ups in Deutschland gestiegen, berichtet die AppliedAI-Initiative von UnternehmerTUM: 214 KI-Start-ups zählt die KI-Initiative, vor allem in Berlin und München, nur wenige KI-Start-ups entstehen in den klassischen Mittelstandsregionen wie Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen.

„Wir sind daher überzeugt, dass Deutschland und Europa bei den KI-Start-upgründungen in den Sparten Produktion, Effizienz und Anlagenbetrieb weiter aufholen können“, sagt Matthias Kässer, McKinsey-Partner und Experte für KI. „Aber dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen.“ Ein wichtige Voraussetzung seien beispielsweise die entsprechenden Fachkräfte. Wie in allen Industrienationen fehlt es allerdings auch bei uns an Absolventen aus mathematisch-physikalischen Studiengängen mit Fokus auf KI.

Und auch das Geld spielt eine Rolle: Im internationalen Vergleich sind die Geldgeber in Deutschland meist weniger risikobereit und bevorzugen KI-Start-ups, die bereits ein Pilotprojekt und einen Pilotkunden sowie validierte Marktzugänge und ein funktionierendes Geschäftsmodell vorweisen können. Im Silicon Valley dagegen genügen unter Umständen sehr gute Visionen und Geschäftsmodelle, um Investoren zu überzeugen.

Finanzquellen sprudeln nicht

Fabian Westerheide, Geschäftsführer beim auf KI-Start-ups in Maschinenbau, Robotik und Produktion spezialisierten Finanzdienstleister Asgard, gibt zu verstehen, dass professionelle Investoren, wie Venture Capital Fonds bisher nur ein verhaltenes Engagement zeigen, obwohl die Early-Stage-Phase bald vorüber ist. Während in den USA die Finanzierung sehr viel aus privaten Mitteln oder durch Venture Kapital erfolgt, sprudeln in China staatliche Geldquellen. Bei uns dagegen fließen die Geldquellen durchschnittlich um eine Größenordnung zu schwach.

Weiterer Unterschied: Wie gescheiterte Start-ups bewertet werden. „Während in den USA das Engagement und erlangte Gründererfahrungen im Vordergrund stehen, vermutet bei uns mancher Entscheider persönliche Defizite hinter erfolglosen Projekten“, sagt Dr.-Ing. Werner Kraus, Abteilungsleiter Roboter- und Assistenzsysteme beim Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. Hinzu kommt eine vielleicht typisch deutsche Vorsicht: „Deutsche Studienabgänger finden einen guten Arbeitsmarkt vor und sind im allgemeinen eher risikoscheu“, sagt Benjamin Kloss, Ventures Associate bei Plug and Play Tech Center Deutschland, ursprünglich ein Venture Capital Fond aus dem Silicon Valley.

Fraunhofer fördert

Aber natürlich gibt es auch in Deutschland Start-ups: Allein beim Fraunhofer IPA in Stuttgart agieren parallel mehr als 20 Start-ups. Fraunhofer Venture unterstützt diese beim Ausgründungs- und Beteiligungsmanagement und zeigt sich mit den 72 vernetzten Fraunhofer-Instituten im Hintergrund offen gegenüber externen Gründungswilligen und deren Ideen. Umfangreiche Unterstützung bieten auch universitäre Einrichtungen, z. B. UnternehmerTUM – Zentrum für Innovation und Gründung an der TU München.

Schon sehr frühzeitig unterwegs mit KI-Software waren der Computerwissenschaftler Ralf Klinkenberg und der Datenwissenschaftler Dr. Ingo Mierswa. Schon während ihrer Studienzeit in den 1990er Jahren in Dortmund entwickelten sie Software zur Analyse von großen Datenmengen, die sie dann als Open Source im Internet zur freien Verfügung stellten. Über Downloads erzielte sie zügig Bekanntheit und nach drei Jahren kamen erste Aufträge für Beratungen und Schulungen sowie firmenspezifische Erweiterungen ihrer Software. Klinkenberg und Mierswa gründeten dann 2007 das Unternehmen Rapidminer. Da war der Begriff Big Data noch gar nicht geprägt. Heute gehört das Software Unternehmen mit seiner Plattform für maschinelles Lernen und Data Mining zu den Marktführern der Branche.

Big Data lockt Start-ups

Attraktiv ist das Feld der Datenberge für Entrepreneure offenbar immer noch. Weltweit sind mehr als 300 Start-ups mit dem Thema Big Data beschäftigt. Seit den Start-up-Zeiten von Rapidminer hat sich aber einiges geändert. Klinkenberg: „Bis zur Unternehmensgründung hatten wir damals viel Zeit, unsere Software zu entwickeln und sehr viel Erfahrung, was maschinelles Lernen anbetrifft.“ Heute laufen technische Entwicklungen sehr viel schneller ab. Das heutige Tempo hat auch seine Schattenseiten: Bei vielen Gründern der letzten drei Jahre beobachtet Klinkenberg einen Mangel an fachlicher Tiefe. Generell sei es schwierig, wirklich gutes Personal zu finden, sagt der Unternehmer. „Viele Bewerber schätzen ihre Qualitäten als Datenwissenschaftler oder ihre Expertise in Sachen KI zu hoch ein.“

Start-up-Autobahn schiebt an

Die Start-up-Szene anschieben will der Venture Capital Fond Plug and Play Tech Center Deutschland, der dazu mit Daimler in Stuttgart die Plattform Start-up-Autobahn gegründet hat. An diese sind heute fast 30 weitere Corporate Partner angeschlossen. Die Plattform bringt Gründer von Start-ups aus der ganzen Welt zügig in Kontakt zu Vertretern von Forschungs- und Entwicklungsabteilungen verschiedener Partnerfirmen. Voraussetzung: Die Start-ups haben bereits einen Prototyp entwickelt und in Early-Stage-Finanzierungsrunden Kapital eingeworben.

Potenzielle zukünftige Partner vereinbaren als ersten Schritt auf dem Weg zu einer langfristigen Partnerschaft gemeinsame Schritte. Für die Start-ups eine gute Gelegenheit, sich zu profilieren. „Langfristiges Ziel ist es, dass die Industriepartner die Technologien in Serie einführen und dauerhafte Kunden bei einem Start-up werden“, sagt Plug-and-play-Mann Kloss. Auch ein Investment oder der Kauf des Start-up seien möglich.

Wo sind die Hotspots?

Leider gehören deutsche Start-ups nicht immer zu den besten Bewerbern auf der Autobahn, sagt Kloss. Um den Gründungswillen in Deutschland zu fördern sollte seiner Ansicht nach der Zugang zu Risikokapital vereinfacht werden. Auch rechtlicher Support bei der Erstellung von Geschäftsmodellen wäre wünschenswert, ebenso wie Mentoring und das Bereitstellen von Büroräumen.

Damit sich die KI-Start-up-Szene gut entwickeln kann ist eine spezielle Art von Ökosystem notwendig. Dieses besteht einerseits aus den jungen Unternehmen mit ihrer Expertise und Finanzinvestoren sowie Industriebetrieben als Kunden andererseits. „Starke Systeme entwickeln sich dort, wo die Binnennachfrage groß ist“, sagt McKinsey-Partner Kässer. In den USA sind das die Regionen um die Hightech-Giganten. China verfügt ebenfalls über Hotspots und zusätzlich befördern regulatorische Bedingungen die hohe Nachfrage. In Deutschland und Europa sind solche Zentren weitaus dünner gesät.

Und natürlich ist entsprechendes Interesse bei der potenziellen Kundschaft aus der Industrie essenziell: Asgard-Geschäftsführer Westerheide zeichnet hier jedoch kein sehr optimistisches Bild. Nach vielen Jahren des Erfolgs seien die Geschäftsführer mittelständischer Unternehmer aber auch Konzernmanager blind für den digitalen Wandel und das Potenzial künstlicher Intelligenz. Oder unterliegen einer massiven Fehleinschätzung. „Die Folge davon ist, dass die Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus keine Innovationszentren in Silicon Valley, Peking oder Berlin aufgebaut haben und auch keine Acceleratoren betreiben.“

KI-Kompetenzen fehlen

Immerhin: McKinsey-Partner Kässer beobachtet seit einigen Jahren, dass bei größeren Produktionsbetrieben gegenüber KI keine Vorbehalte mehr bestehen, was sich förderlich auf die KI-Landschaft auswirken könnte. Allerdings täten sich viele Unternehmen schwer damit, funktionierende Pilotprojekte zu skalieren. Nach Ansicht von Ashok Kaul, Partner bei Roland Berger, hinken der Mittelstand und kleinere Betriebe in der Nachfrage aber noch stark hinterher. Zudem fehle es an Kompetenzen, KI zu implementieren.

Klinkenberg vertritt daher den Standpunkt, dass sich die Nachfrage nach KI nur dann steigern lässt, wenn neben der Schaffung zusätzlicher Professorenstellen ebenfalls die Ausbildung verbessert wird. Auch Maschinenbauer, Techniker und Ingenieure sollten idealerweise KI-Vorlesungen besuchen und ein Verständnis für KI entwickeln. „Wie sollen Führungskräfte auf die Idee kommen, KI einzusetzen, wenn sie nicht wissen, wie KI funktioniert?“


Make or Buy? Patentrezepte gibt es nicht

Für Industrieunternehmen ist der Kauf oder die Finanzierung eines Startups eine Möglichkeit, KI-Innovationen zu akquirieren und so an das Unternehmen zu binden. Ob es sich für Industrieunternehmen lohnt, ein eigenes Startup zu gründen, lässt sich nicht allgemein beantworten. Ein Startup zu kaufen, dessen Leistungsfähigkeit sich an Hand von Geschäftszahlen bewerten lässt, erscheint jedenfalls der risikoärmere Weg zu sein.

Thomas Doppelberger, Leiter von Fraunhofer Venture, beobachtet, dass sich mittlerweile viele mittelständische Unternehmen für die Zusammenarbeit mit Startups interessieren. Aber ein finanzielles Engagement kann schnell zur Hängepartie werden: „Will ein Unternehmen der einzige Kunde sein, ist ein entsprechend großes Investment erforderlich, bzw. wird die Entwicklung des Startup entsprechend eingeschränkt. Dann ist der Schritt zum Kauf vielleicht auch nicht mehr weit.“

Aber: „Startups streben eher weniger an, gekauft zu werden, als mit eigenem Geschäftsmodell und über Fremdfinanzierungen auf dem Markt erfolgreich zu sein“, sagt Doppelberger. Und muss nicht immer gleich der Kauf eines Startups sein. „Möglich ist auch mittels Open-Source-Software eigene Lösungen zu entwickeln, aber dafür sind Experten notwendig“, sagt Manuel Thomä, Leiter Media Relations beim Maschinenbauer Trumpf, wo ein Team an eigenen KI-Lösungen forscht.

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