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Odense: Kraftzentrum der Robotik

Der Erfolg von heute finanziert die Entwicklung von morgen
Odense: Kraftzentrum der Robotik

Odense in Dänemark gilt als „Powerhouse for Robotics“. Dort werden nicht nur neue Robotergenerationen aus der Taufe gehoben, sondern auch Trends gesetzt. Warum? Verdientes Geld wird reinvestiert – und zwar Millionen. Unser Korrespondent hat sich im dänischen Cobot-Mekka umgesehen.

Autor: Bernhard Foitzik

Der Investor Summit ist nicht nur der heimliche Höhepunkt im dänischen Robotikkalender, sondern hat auch internationale Anzeihungskraft. Während hierzulande noch diverse Robotik-Cluster um Standing und Drittmittel konkurrieren, hat sich das dänische Roboter Ökosystem anders entwickelt.

Mit dabei beim Investor Summit in Odense war in diesem Jahr beispielsweise Christian Löchte, Geschäftsführer des Braunschweiger Start-ups Formhand. Er stellte sich als letzter von neun jungen Unternehmen beim Pitching den über 100 anwesenden Investoren. „Eine Reihe interessanter Gespräche hat sich ergeben“, sagt Christian Löchte, der ein universelles Granulat-gefülltes Greifkissen für Industrieroboter hat, das sich flexibel an Werkstücke anpassen kann. Weiter wollte er sich über mögliche Investoren nicht äußern.

Wie breit man im Ökosystem Odense die Robotik sieht, macht ein zweites deutsches Unternehmen beim Investor Summit deutlich. Reactive Robotics, München, hat in Dänemark sein KI-gesteuertes robotisches Assistenzsystem für Intensivstationen präsentiert. Bei den einzelnen Pitches stellten die Unternehmen in wenigen Minuten ihre Ideen und Entwicklung vor. Dass die Tische, an denen die anschließenden Vier-Augen-Gespräche stattfinden, außer Hörweite auseinander standen, war sicher nicht nur Corona geschuldet.

Geld überwiegend aus Dänemark

Andererseits spricht man offen über die investierten Beträge in Dänemark. Denn diese Beträge sind stattlich. „Das dänische Robotik Ökosystem hat allein seit 2015 rund 227 Millionen an Venture Capital angezogen“, heißt es in einem Statusbericht (März 2022) zum Investitionsverhalten. Das investierte Geld stammt überwiegend aus Dänemark selbst – daran ändert tendenziell auch das Teradyne-Engagement bei Universal Robotics nichts. Ob gewollt oder nicht, man bleibt unter sich in Odense. Wer seine Anteile an MiR oder Universal Robots verkauft hat, investiert sein Geld in dänische Robotertechnik.

Wie nahe Forschung, Entwicklung, Markteintritt und Durchstarten beieinander liegen, zeigt sich am Danish Technological Institute. Mathias Flindt, einer der Berater am DTI, ist deshalb gar nicht unbescheiden, wenn er resümiert: „Wenn in Dänemark entwickelt wird, dann wird geklotzt.“

Und er hat gute Argumente: Über 1.000 Spezialisten arbeiten am DTI. Jährlich werden etwa 350 Projekte mit einem Volumen von über 50 Mio. Euro angeführt. Immer mit dem Slogan: Technology is our tool, progress our goal.“ Regionale Nähe ist wichtig, wobei es von Kopenhagen nach Odense Insidern zufolge recht weit ist. Umgekehrt sei es viel kürzer.

Ein Blick in die Messe R-22

Auch im Screening Commitee, das auswählt, wer sich – für einen bestimmten Zeitraum – auf dem Odenser StartUp Hub-Gelände niederlassen darf, sitzen mit Esben Østergaard (CEO ReInvest Robotics), Mikkel Christoffersen (CEO Odense Robotics, Drones & Automation) und Niels Jul Jacobsen (CEO Capra Robotics ApS) bekannte Vertreter der ersten Odense-Robotics-Generation. Parteilichkeit gegenüber lokalen Startups sollte man den dänischen Robotik-Machern nicht unterstellen, wohl aber ein gutes Händchen, technische Expertise und Erfahrung.

Aber gibt es denn keinen Fachkräftemangel in Dänemark? Hinter vorgehaltener Hand wird schon von heftigen Abwerbeversuchen gesprochen. Schließlich sind werden auch in Zeiten von Drag&Drop-Programmierungen Roboterspezialisten gebraucht, um die gerade in einem Cluster wie Odense gerungen wird.

Parallel zum Investor Summit fand dieses Jahr erstmals die neu ins Leben gerufene Messe R-22 mit etwas über 100 Aussteller statt. Die dänische Robotikindustrie hat damit also ihre eigene Messe, zu der auch die Drohnen gehören. Zudem gibt es keine Berührungsängste mit Arbeitsfeldern wie Medizintechnik, Landwirtschaft, Gesundheitswesen und militärischen Anwendungen.

Schaut man sich die ausgestellten Roboter an, hätte R-22 auch eine Hausmesse von Universal Robots sein können. Klar, Odense ist ein Heimspiel für UR und da ist es für Systemintegratoren einfach, auf die einheimischen Roboterprodukte zurückzugreifen. Neben vielen Cobots gab es auch jede Menge mobiler Plattformen, allen voran MiR, zu sehen. Zudem spielten auf der Messe wie beim Investor Summit auch Greifer und Greiftechnologie eine wichtige Rolle.

Man kennt sich, man hilft sich

Besonders spannend: Auf der Messe trifft man auch die Prominenz der Odenser Robotics-Szene auf dem Gang in einer der drei Messehallen. Natürlich haben die Fixsterne am dänischen Robotikhimmel alle ihre Termine, aber Zeit für einen kleinen Plausch oder einen Kaffee bleibt dann doch. Thomas Visti (Ex-UR und Ex-MiR) beispielsweise schätzt den familiären Charakter der Veranstaltung: „Ich gebe Startups gerne meine Erfahrungen weiter.“

MiR-Gründer Niels Jul Jacobsen sieht einen Grund für das starke Ökosystem in Odense in der Zusammenarbeit: „Es gab von Anfang an keinen Wettbewerb und vor allem gab es keine Platzhirsche.“ Als die Werftindustrie in Odense mit ihren zahlreichen Roboterexperten am Ende war, habe man eben die Ärmel aufgekrempelt und das Roboterwissen anderweitig vermarktet. Für ihn ist die rasche Entwicklung auch eine Mentalitätsfrage: „Wir pflegen ein Try&Fail, bringen eine Entwicklung also schnell in die Praxis und optimieren dann.“ Mit Capra Robotics begleitet er heute die Entwicklung einer autonomen Outdoor-Plattform.

Mobile Robotik als Kernthema

Mobile Robotik hat Tradition in Odense. Eine erste Evolutionsstufe war beispielsweise ein Roboter, der zum autarken Schweißen im Inneren von Bulk Carrier-Schiffen eingesetzt war. Entwickelt hatte dieses System das dänische Systemhaus Inrotech. Als Firmengründer Flemming Jørgensen eine entsprechende Anlage mit acht Robotern nach Japan verkaufte, löste er damit beim japanischen Zoll Erstaunen aus: japanische Roboter für eine Werft in Japan importieren?

Dass neben den Cobots gerade die mobile Robotik so floriert in Odense, erklärt Søren Nielsen, Präsident von Mobile Industrial Robots, so: „Vielleicht hat man das Thema Mobil Robots hier von Anfang an breiter gedacht als anderswo.“ Außerdem sieht er, wie Niels Jul Jacobsen, viele Kooperationen und weniger Futterneid: „Wir versuchen zusammen zu arbeiten.“ Kristallisationspunkt sei die Universität. „Inzwischen haben wir mit ‚Odense Robotics‘ eine starke Marke.“ Das habe eine große Anziehungskraft: „Talente anziehen – das ist sehr wichtig.“

Sein (technischer) Blick in die Zukunft lässt aufhorchen: „Heutige mobile Roboter vergleiche ich mit Autos, wie man sie Anfang des vergangenen Jahrhunderts hatte. Viele sahen noch aus wie Kutschen.“ Was das für den Markt bedeute? „Einige der großen Hersteller warten nur auf den richtigen Zeitpunkt, auch in die mobile Robotik einzusteigen.“ Dann gehe der Teig richtig auf.

Spannende Innovationen

Eine Entwicklung, die auf der R-22 vorgestellt wurde, hat es Anfang April sogar bis ins ZDF geschafft: Der 3D-Drucker von Cobod International aus Kopenhagen, mit dem sich ganze Häuser drucken lassen. „Auch das“, so Marketing-Manager Philip Knudsen, „zählen wir in Dänemark zu den Robotern. Seinen Durchbruch hatte das Unternehmen 2017, als in der dänischen Hauptstadt das „BOD“ (Building on Demand) gedruckt wurde. Das Bürogebäude gilt das erste 3D gedruckte Gebäude in Europa überhaupt.

Blickfang am Messestand von RiACT (Robots in Action) war ein zweiarmiger LBR iiwa. Ein zweiarmiger Cobot von Kuka? Gibt es den überhaupt? Ja, in Dänemark schon – allerdings nur als Demonstrationsobjekt beim RiACT-CEO Bjarne Grossmann. Auch Grossmann ist der Anziehungskraft des dänischen Robotik-Clusters erlegen und von Hamburg nach Kopenhagen gezogen.

2019 wurde RiACT gegründet, schon 2020 von der Wallenberg Foundation gefördert. Spezialität sind Softwarelösungen für Roboter. Sehr beeindruckend ist die Bedienung von Roboter unterschiedlicher Hersteller über eine einzige Bedienoberfläche. Was Bjarne Grossmann denkt, wenn er den deutschen und den dänischen Robotermarkt vergleicht? „Traditionelle Märkte sind zurückhaltend, wenn es um Neuerungen geht“, so Grossmann. „Das ist mit der Robotik in Dänemark ein bisschen anders.“

www.odenserobotics.dk; Automatica B4.308


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