Künstliche Intelligenz (KI) gehört derzeit zu den Technologiebereichen, die besonders rasant voranschreiten. „Riesenfortschritte gab es insbesondere beim Deep Learning mit künstlichen neuronalen Netzen“, sagt Prof. Dr.-Ing. Thomas Bauernhansl, Leiter des Fraunhofer IPA. Deep Learning helfe bei der Bildauswertung in der Medizin ebenso weiter wie in der Produktion, wo KI die Produktivität und Effektivität von Maschinen erhöht.
Eine Ausgründung des Fraunhofer IPA – das Start-up plus10 – habe gezeigt, wie groß die Fortschritte hier sein können, verdeutlicht Bauernhansl: „Bei jedem durchgeführten Projekt hat man die Produktivität um mindestens zehn Prozent gesteigert.“ Das funktioniert mit Verfahren des maschinellen Lernens, die Anomalien erkennen und automatisiert empfehlen, was man tun muss, damit die Maschinen besser laufen.“
Zudem kann mit KI ein Teil der planerischen Aufgaben und der Fehlerbehebung direkt in die Maschinen verlagert werden. „In der autonomen Produktion kümmert sich jede Maschine im Rahmen gewisser Grenzen um sich selbst. Durch Automatisierungstechnik und Methoden der künstlichen Intelligenz kann sie Werkstück-, Werkzeug- und Prozesswechsel ohne menschliche Eingriffe vollziehen und auch deutlich mehr Fehler- und Ausnahmefälle beheben“, sagt Prof. Dr.-Ing. Martin Ruskowski, Leiter der Technologieinitiative SmartFactory KL. „Mit lernenden Auswerteverfahren werden die Maschinendaten vorbewertet. Kombinieren wir die Ergebnisse mit wissensbasierten Entscheidungsverfahren, kann die Maschine in gewissen Grenzen Entscheidungen selbst umsetzen, die bislang der Mensch selbst treffen musste“, so Ruskowski.
Auch Bauernhansl erwartet, dass mit KI künftig ein Teil der planerischen Aufgaben und der Fehlerbehebung direkt an die Maschinen verlagert wird. „Dort werden dann die Arbeiter Assistenzsysteme zur Verfügung haben, die ihnen helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen.“
Keine menschenleere Fabrik
Die Vision einer völlig menschenleeren Fabrikhalle ist aus Ruskowskis Sicht ohnehin „eine verquere Zielvorstellung“. Maschinen könnten dank KI zwar sich häufig wiederholende Tätigkeiten übernehmen. „KI hat aber nichts mit wirklicher Intelligenz, Problemlösungsfähigkeit und Kreativität des Menschen zu tun. KI übernimmt Datenfleißarbeit – wertet große Datenmengen aus, trifft Klassifizierungen und findet Analogien. Sie wird aber niemals eine kreative Problemlösung vorschlagen. Für diese Aufgabe ist der Mensch unersetzlich“, stellt Ruskowski klar.
Es läuft also eher darauf hinaus, dass KI mehr und mehr als Assistent eingesetzt wird. Ein Beispiel dafür ist der Intelligent Automotive Manufacturing Assistant von IBM, der zusammen mit einem großen Automobilunternehmen entwickelt wurde. Plamen Kiradjiev, Global CTO Industrie 4.0 bei IBM, beschreibt die Ausgangslage: „Was macht ein Werker, wenn eine Maschine stehen bleibt? Er läuft zurück ins Office, setzt sich an den Rechner und browst innerhalb einer bestimmten Struktur nach dem relevanten Dokument, um den Fehler zu beheben. Mit IAMA bringen wir die Informationen direkt an die Maschine oder auf ein mobiles Endgerät. Und wir machen sie mit einer intelligenten kontextbezogenen Suche besser auffindbar.“ Laut IBM spare man damit bis zu 30 Minuten Zeit bei der Suche nach relevanten Informationen. „So lässt sich die Ausfallzeit einer Maschine dramatisch reduzieren.“
KI unterstützt den Mitarbeiter
Auch in der Qualitätssicherung kann KI den Menschen entlasten, zum Beispiel bei der Kontrolle von Schaltungen in der Elektronik. „Der Werker kann mit seinem Smartphone eine Aufnahme machen – zum Beispiel zur Kontrolle von Felgen – und intelligente Algorithmen erkennen dann die Fehler. Und wenn diese gefunden wurden, erhält der Mitarbeiter über den Service auch die passende Handlungsanweisung.“ Aus seiner Sicht besitzt KI daher grundsätzlich ein großes Potenzial, um die Mitarbeiter in der Fabrik zu unterstützen.
Bei Fraunhofer beispielsweise gibt es einen Demonstrator, der Maschinenstörungen automatisiert in Aufgaben für entsprechend geschultes Instandhaltungspersonal überführt. „So landet ein Problem immer nur im Cockpit derjenigen Experten, die die dafür notwendigen Kompetenzen und Erfahrungen besitzen“, berichtet Dr. Matthias Peissner, Institutsdirektor am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO.
In einem anderen Projekt mit einem großen Automobilzulieferer habe man ein System im Piloteinsatz, das in einer halb automatisierten Fertigungslinie einen Mitarbeitenden unterstützt, der mehrere Maschinen betreut. Peissner: „Bisher ist er auf Basis seines Erfahrungswissens von Maschine zu Maschine gewechselt, um Material nachzulegen, ein Teilprogramm zu starten oder einen Fehler zu beheben. Unser Algorithmus berechnet nun aufgrund der aktuellen Maschinen- und Sensordaten optimale Arbeitsabläufe – der Mitarbeitende bekommt per servergesteuerten LED-Streifen am Boden, über eine Smartwatch oder ein großes Anzeigesystem in der Halle den Hinweis, wo er als Nächstes gefragt ist, um den Ablauf zu optimieren.“
Menschengerechte Technologie
Eine Herausforderung dabei sei es aber, den Mitarbeiter durch solche KI-basierten Systeme nicht zu gängeln, so Peissner: „Er soll das Gefühl haben, unterstützt zu werden, um aus seiner Arbeitskraft das Beste zu machen. Sonst sind Frustration, Stress, Müdigkeit, Überbelastung und Krankheit vorprogrammiert. Nur eine menschengerechte Assistenz und Automatisierung haben Zukunft.“ Wichtig sei in dem Zusammenhang auch eine einfache Bedienung über Wischen, Gesten- und Sprachsteuerung – wir man das vom Smartphone kennt.
Ruskowski stimmt zu: „In der Vergangenheit mussten sich Menschen den Maschinen anpassen, nun passen wir Maschinen an menschliche Bedürfnisse an.“ Vieles verdanke man den Consumerprodukten. „Es reichen ja schon Smartphone oder Tablet, um mit Hilfe der Augmented Reality technische Informationen in das Bild der Realität einzublenden. So werden Daten aus Maschinen sichtbar und man kann Abläufe erkennen. Virtual und Mixed Reality, kontextsensitive Schnittstellen, Assistenzsysteme, Intentionserkennung – wir stehen erst am Anfang, diese Technologien zur höheren Befähigung von Mitarbeitern in der Produktion einzusetzen.“
Abschied vom Innendienst
Große Auswirkungen des KI-Einsatzes auf die Arbeitswelt erwartet der Fraunhofer-IPA-Leiter Prof. Dr. Thomas Bauernhansl in den indirekten Bereichen: „Binnen zehn Jahren werden wohl 50 Prozent der indirekten Arbeitsplätze in produzierenden Unternehmen verschwinden.“ Beispielsweise könne die Auftragsabwicklung komplett durchautomatisiert werden. „Ich kenne Beispiele, bei denen man die Durchlaufzeit von vier Tagen auf vier Stunden reduziert hat“, so Bauernhansl. „Sachbearbeitung, Vertrieb, Buchhaltung – kurz den Innendienst, wie wir ihn heute kennen – wird es dann nicht mehr geben.“
Ein massiver Arbeitsplatzabbau drohe aber nicht: „Hier kommt uns in Deutschland die demografische Entwicklung entgegen, denn in den nächsten Jahren werden viele Mitarbeiter in Ruhestand gehen. Unter heutigen Gesichtspunkten müssten wir einen massiven Mangel an Arbeitskräften befürchten.“ Lernende Maschinen könnten also die Arbeit von Menschen übernehmen, die künftig gar nicht mehr zur Verfügung stehen. „Ich glaube nicht, dass durch den Strukturwandel hin zu KI die Arbeitslosigkeit im produzierenden Gewerbe stark ansteigen wird.“