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Von der Streichholzfabrik zur Fabrikautomation

Im Portrait: Das finnische Familienimperium hinter Fastems
Von der Streichholzfabrik zur Fabrikautomation

Den Fabrikautomatisierer Fastems kennen viele. Die wenigsten aber wissen, dass dahinter eine finnische Familie mit deutschen Wurzeln steht. Die Geschichte der Aminoff-Gruppe ist ein beeindruckendes Beispiel für Beständigkeit aber auch Wandlungsfähigkeit von Familienunternehmen.

Autor: Armin Barnitzke

Viele Unternehmen tragen mit ihrem Erfolg auch einen Familiennamen in alle Welt. Allerdings gibt es auch Familienunternehmen, die seit mehr als einem Jahrhundert sehr erfolgreich sind, deren Herkunft aber weitestgehend unbekannt ist. Ein solches Beispiel ist die finnische Familie Aminoff, die mit ihrer Unternehmensgruppe mit 1,5 Milliarden Euro Umsatz und 3400 Mitarbeitern zu den Top 10 der privaten finnischen Unternehmen gehört.

Interessanterweise liegen die Ursprünge der Gruppe in Deutschland, genauer gesagt in Thüringen. Denn dort lebten die Vorfahren von Walter Greuling, der als Zwölfjähriger 1892 mit seiner Familie nach Tampere zog, weil sein Vater Max Greuling dort eine Streichholzfabrik leiten sollte.

In Finnland stieg Walter Greuling mit 23 in das von Charles Elmgren gegründete Unternehmen Mercantile ein, das Chemikalien und Maschinen importierte. Dort wurde er ein enger Freund und Geschäftspartner des Firmengründers – zumal Walter Greuling recht bald Charles Elmgrens jüngere Schwester Maud heiratete.

Als Charles Elmgren 1910 früh verstarb, übernahm Walter Greuling die Geschäftsführung und baute Mercantile zu einem prosperierenden Unternehmen aus. Zwar besaß Walter Greuling keine formale Ausbildung, aber „ein Gespür für die Kundenbedürfnisse und die Fähigkeit, das richtige Produkt zur richtigen Zeit zu verkaufen“, wie der finnische Historiker Professor Henrik Meinander schreibt. Eine Eigenschaft, die auch die zukünftigen Generationen prägen wird.

Darüber hinaus gründete Walter Greuling weitere Firmen (wie eine Streichholzfabrik oder eine Zellulose Fabrik), die Maschinen bei Mercantile bezogen. Und er baute die Firmengruppe aus, etwa in dem er Ende der 1920er Jahre beim Autohändler Nikolajeff einstieg, der Vertreter von Mercedes Benz in Finnland war.

Zudem investierte Walter Greuling in die finnisch-polnische Helvar und baute das Import-/Export-Unternehmen zu einem erfolgreichen Radio-Hersteller um. Nach dem Siegeszug der Transistortechnik konzentrierte sich Helvar auf die Lichttechnik. Heute ist das Unternehmen ein Spezialist für Vorschaltgeräte und Lichtsteuerungen.

Wandlungsfähigkeit ist wichtig

„Wir achten stets darauf, dass unsere Unternehmen wandlungsfähig sind“, sagt Philip Aminoff, ein Vertreter der vierten Generation. Sein Großvater Cecil Aminoff hatte damals Walter Greulings ältere Tochter Dorrit geheiratet und die Firmengruppe nach Walter Greulings Tod weiter geführt. Philip Aminoff: „Als Eigentümer ermuntern wir die Führungsebene unserer Unternehmen stets dazu, wachsam zu bleiben und gewissermaßen das Radar anzuhaben.“ Die Firmenleitung müsse stets bedenken: „Das, was wir heute tun, muss nicht unbedingt das sein, was wir morgen tun.“ Aus diesem Grunde habe beispielsweise der Autohändler Veho schon früh damit begonnen, Konzepte für Mobilitätsdienstleistungen zu entwickeln.

Wandlungsfähigkeit bedeutet aber auch, die Gruppe als Ganzes sowie einzelne Firmen mit gezielten Akquisitionen zu verstärken: „So haben wir 1990 Electrosonic übernommen und deren Lichtsparte in Helvar integriert.“ 1995 investierte die Familie Aminoff in Fastems (Flexible Automations Systems), einem Anbieter von Lösungen für die Fabrikautomatisierung: „Mercantile war ja schon seit den 1920er Jahren als Importeur von Werkzeugmaschinen tätig. Langfristig ist hier das Wachstum aber begrenzt. Daher war für uns klar: Wir brauchen Mehrwert. Und den Mehrwert fanden wir im Thema Automatisierung.“

Weiterer Vorteil: Während die Firmengruppe bis dahin vor allem mit Importgeschäften Geld verdiente, brachte Fastems einen Export-Charakter mit: Heute erzielen die drei Technologiefirmen Helvar, Fastems und Electrosonic 95 Prozent des Umsatzes außerhalb von Finnland. Dass sich alle Cousin-Firmen gegenseitig befruchten können, sei ein großer Vorteil, berichtet Philip Aminoff: „Zwar gibt es keine direkten Kunden-Synergien, aber in Bezug auf Marktverständnis und Kundennähe können die Firmen voneinander lernen.“

Strategische Zukäufe geplant

Die Geschäftsführungen und Boards treffen sich jährlich zu einem Austausch. „Dabei werden stets Case Studies aus den einzelnen Cousin-Unternehmen vorgestellt, beispielsweise Initiativen zum Thema Digitalisierung“, berichtet Philip Aminoff. Die Eigentümer nehmen dabei eine beratende Funktion ein: „Wir geben der Geschäftsführung zwar Impulse für die Zukunft, machen aber keine Vorgaben im Hinblick auf das operative Geschäft oder auf einzelne Investitionen.“

Dennoch: Strategische Zukäufe müsse und werde es weiterhin geben. „Wir werden keine komplett neuen Bereiche hinzukaufen, uns aber sehr wohl in unseren Märkten gezielt verstärken“, betont Philip Aminoff, der sich insbesondere bei Fastems Akquisitionen in Richtung IoT oder Software vorstellen kann. Verstärkt hat sich Fastems bereits 2013 mit der Übernahme des Robotikspezialisten Pneumotec in Issum.

„Der Zukauf war für Fastems konsequent, weil ein Anbieter von Fabrikautomation im wichtigen deutschen Markt einen eigenen Standort haben muss“, erläutert Philip Aminoff. Zudem hat sich Fastems als Spezialist für das automatisierte Paletten-Handling mit der Übernahme Knowhow beim roboterbasierten Werkstückhandling an Bord geholt. Heute ist Issum das Kompetenzzentrum für roboterbasiertes Teile-Handling, während in der Fastems-Zentrale in Finnland vor allem die Systeme für das Paletten-Handling entstehen und die Software entwickelt wird.

Deutsche und Finnen ergänzen sich

Die Positionierung von Fastems in Deutschland hat also vor allem strategische und technologische Gründe. „Interessanterweise schließt sich hierdurch für uns aber auch der Kreis zu unseren deutschen Wurzeln“, schmunzelt Philip Aminoff, der seit einigen Jahren auch Mitglied des Vorstandes der Deutsch-Finnischen Handelskammer ist. „Ich gelte gewissermaßen als der Deutsche in unserer Familie“, meint er und lacht. Das liege wohl auch daran, dass er nach dem Studium bei Böhringer Mannheim gearbeitet habe. „Finnen und Deutsche haben viel gemeinsam, können sich aber auch prima ergänzen“, sagt Philip Aminoff: „Finnen entwickeln tolle technische Lösungen, sind oft aber zu technikverliebt. Deutsche denken stattdessen vielmehr daran, ob eine Idee auch wirtschaftlich vernünftig ist.“

Fastems Systems GmbH

www.fastems.com

Helvar Merca Oy Ab

www.helvarmerca.com


Familienunternehmen in Europa gestärkt

Für Philip Aminoff ist die Aminoff-Firmengruppe keine finnisch-deutsche Angelegeheit, sondern eine europäische. „Schließlich wurde Mercantile damals von einem Halb-Engländer und einem Deutschen geführt. Und wir Aminoffs sind eine finnisch-schwedische Familie mit russischen Wurzeln.“ Als europäischer Unternehmer war Philip Aminoff von 2008 bis 2012 auch Präsident der Dachorganisation der europäischen Familienunternehmensverbände EFB (European Family Businesses): „Das war ein tolle und sehr erfolgreiche Zeit“, schwärmt er. So habe es EFB geschafft, der europäischen Politik die Bedeutung von Familienunternehmen zu vermitteln, berichtet Philip Aminoff: „Vor 10 Jahren gab es in der Europäischen Kommission kein Verständnis für die Relevanz von Familienunternehmen. Das Denken war sehr von Finanzmärkten und Banken geprägt. Seither ist aber auf europäischer Ebene viel zur Stärkung der Familienunternehmen in Europa unternommen worden.“


Neun Firmen im Verbund

Das von Walter Greuling begründete Firmenimperium besteht heute aus neun Firmen in den Bereichen: Handel

  • Mercantile (heute Handel mit Automotive Teilen)
  • Veho (Autohandel)
  • MTC Flextek (Importeur von Werkzeugmaschinen und Industrierobotern)

Technologie

  • Helvar (Digitale Lichtsteuerung)
  • Electrosonic (Audio-visuelle Systemlösungen)
  • Fastems (Fabrikautomation)

sowie Immobilien

  • Parator
  • Luna Holding
  • Hawley Mill

Eine verzweigte Familie

Philip Aminoff führt die finnische Firmengruppe in der vierten Generation. Beeindruckend ist, wie es die Familie geschafft hat, das stetig wachsende Firmen- und Familiennetzwerk über all die Jahre ohne geschäftsgefährdende Streitigkeiten zu managen. Dafür sorgt auch eine gewisse Dezentralisierung. Philip Aminoff: „Es gibt keine Dachgesellschaft, sondern die Firmen sind in parallelen Holdings organisiert, die nicht alle den gleichen Inhaber haben. Stattdessen konzentrieren sich einzelne Familienzweige auf bestimmte Firmen.“

Zudem achten die Aminoffs darauf, dass das Eigentümer-Netzwerk nicht zu groß wird. „In jeder Generation sind Aktien einzelner Familienmitglieder vom Unternehmen eingelöst oder von anderen Eigentümern gekauft worden.“ Der Familienzusammenhalt bleibe dabei aber bestehen: Auch wer kein Eigentümer ist, gehört zur Familie. „Die Familie trifft sich regelmäßig und wir verstehen uns alle sehr gut“, berichtet Philip Aminoff, der als Kind eigentlich Arzt werden wollte. „Doch dann haben meine Oma und mein Onkel mir beide sehr deutlich gemacht, dass es eine gute Idee wäre, an die Firma zu denken“, schmunzelt Philip Aminoff rückblickend. Bereut hat er den Einstieg ins Familien-Business nie: „Sinnvolle neue Dinge zu entwickeln, sind für mich eine große Quelle der Faszination.“

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