Im Zuge der digitalenTransformation ist es ganz entscheidend, wie Unternehmen künftig zu einer Innovation, also zu neuen Prozessen, Angeboten oder Geschäftsmodellen kommen. Früher hing die Entwicklung, Einschätzung und Umsetzung von Innovationsideen maßgeblich von der Intuition einzelner Entscheider ab, da Testprozesse als Entscheidungsgrundlage häufig lang und teuer waren.
Wenn es die Zeitplanung zuließ, führten Experten aufwendige Experimente durch, mit dem Ziel, ein marktfertiges Produkt zu entwickeln. Ob das Produkt aber wirklich erfolgreich sein würde, zeigte sich jedoch häufig erst nach dem Produktlaunch, weil zu diesem Zeitpunkt das erste Mal Feedback von Nutzern eingeholt wurde.
Der digitale Wandel ermöglicht es Unternehmen, sich von dieser tradierten Vorgehensweise zu lösen. Entscheidungen über die aussichtsreichsten Ideen und Entwicklungsperspektiven können immer häufiger auf der Basis von Testergebnissen getroffen werden, da digitale Technologien die Kosten und den zeitlichen Aufwand für Experimente deutlich präziser vorhersehbar machen – und damit die Entwicklungskosten stark senken können. Entwickler müssen beispielsweise keine physischen Prototypen von Fahrzeugen erstellen, um ihre Aerodynamik in einem Windkanal zu testen, da dies mittlerweile realitätsnah über eine Simulationssoftware abgebildet werden kann.
Innovation dezentralisiert sich
Innovation wird also zukünftig keine Aufgabe einzelner, dedizierter Abteilungen mehr sein, da Ideen und erforderliches Wissen bereits heute nicht zentral, sondern dezentral im gesamten Unternehmen vorliegen. Dieses Potenzial werden Organisationen in Zukunft jedoch besser nutzen (müssen), etwa durch ein digital unterstütztes Ideenmanagement. Mitarbeiter mit einer guten Idee müssen keine Programmiersprache mehr beherrschen, um ein einfaches Modell einer App oder Website zu entwickeln. General Electric hat einzelne Mitarbeiterteams mit 3D-Druckern für den Schreibtisch ausgestattet, damit diese neue Design-Ideen schnell testen können.
Schwachstellen und Kritik führen nicht mehr zum Scheitern einer Idee, sondern zu einem iterativen Verbesserungsprozess, der im Idealfall zu einer erfolgreicheren Innovation führt. Da aus Fehlern somit schnell und günstig gelernt werden kann, ändern sich auch die Lern- und Fehlerkulturen in digital transformierten Unternehmen. In Innovationsprozessen, die nicht auf einer langfristigen, perfektionierten Entwicklung, sondern auf dem schnellen Testen möglichst vieler verschiedener Ideen beruhen, ist das Ziel nicht mehr die Vermeidung falscher Ideen, sondern der Lernprozess an sich.
Verbesserung mit Kunden-Feedback
Dieser Ansatz löst bei der Entwicklung von Innovationen den klassischen Planungs- und Entscheidungsprozess ab, der einer wachsenden Geschwindigkeit im Markt ohnehin nicht gerecht wird. Innovationsprozesse werden sich zukünftig eher an der Softwareentwicklung orientieren: Ziel ist nicht Perfektion, sondern ein Minimum Viable Product, das funktionstüchtig und vorerst marktfähig ist. Dieses wird anschließend mittels Kunden-Feedback und weiteren Tests in Iterationen verbessert.
Innovation wird dadurch zunehmend demokratisiert: Es entscheiden andere Faktoren über ihren Erfolg als das reine Bauchgefühl der Geschäftsführung. Sowohl Produkt- als auch Prozessinnovationen werden zudem immer häufiger datenbasiert initiiert und beurteilt werden können, da eine höhere Sensordichte sowie eine höhere Zahl von Datenpunkten eine fast lückenlose Nachvollziehbarkeit ermöglichen.
Die Herausforderung wird zukünftig durch all diese neuen Möglichkeiten weniger darin liegen, die richtige Lösung zu finden, sondern darin, das richtige Problem zu identifizieren. Dabei werden alle Unternehmen auf die Unterstützung und Kreativität jedes einzelnen Mitarbeiters angewiesen sein und sie werden dafür eine Innovationskultur schaffen müssen, die dem wachsenden Bedürfnis nach Freiheit, Selbstverwirklichung und kontinuierlichem Lernen gerecht wird.
Zum Autor
Dr. Jörg Wallner ist seit 2013 Director Innovation & Change des 2b Ahead Think Tanks. Strategieentwicklung und Transformation unter dem Vorzeichen der Digitalisierung stehen im Mittelpunkt seiner Tätigkeit. Als Impulsgeber zeigt Wallner Unternehmen, wie sie mit Digitalisierung umgehen können. Als Berater begleitet er Unternehmen bei der Umsetzung entsprechender Konzepte.
Zudem ist Dr. Jörg Wallner am 18. Juni 2020, 10 Uhr Keynoter auf dem automatica Forum 2020 in München. Sein Thema: „Die Zukunft der Produktion – Aufbruch in ein neues Zeitalter.“
Exklusive Serie: Digitale Transformation
Die Automationspraxis-Serie „So gelingt die digitale Transformation“ beleuchtet Herausforderungen und Lösungsansätze für die digitale Transformation:
Teil 1: Kunden: Inspiration, Austausch und Vernetzung ersetzen Marketingbotschaften
Teil 2: Wettbewerb: Neue Wege mit Kooperationen und Platt‧formen
Teil 3: Daten: Von der Speicherung und ‧Verwaltung zum Schaffen neuer Werte
Teil 4: Innovation: Tests und Experimente lösen Entwicklungsprozesse ab
Teil 5: Wertschöpfung: Neue Logiken, neue Kunden und neue Werte
Teil 6: Führung: Klassische Strukturen aufbrechen und den Wandel unterstützen
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