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„50 Prozent der indirekten Arbeitsplätze verschwinden“

Interview: Thomas Bauernhansl, Leiter des Fraunhofer IPA
„50 Prozent der indirekten Arbeitsplätze verschwinden“

„50 Prozent der indirekten Arbeitsplätze verschwinden“
Thomas Bauernhansl: „Ich glaube nicht, dass durch den Strukturwandel hin zu KI die Arbeitslosigkeit im produzierenden Gewerbe stark ansteigen wird. Lernende Maschinen können die Arbeit von Menschen übernehmen, die uns künftig gar nicht mehr zur Verfügung stehen.“ Bild: Fraunhofer IPA
Wo und wie künstliche Intelligenz (KI) in den Fabriken sinnvoll eingesetzt werden kann und welche Auswirkungen das auf die Arbeitsplätze hat, erläutert Thomas Bauernhansl, der Leiter des Fraunhofer IPA.

Interview: Dr. Ulrich Eberl/Wolfgang Hess

Wo sehen Sie im Unternehmensumfeld, also in Fabriken und Büros, Chancen für den Einsatz der künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens?

Bauernhansl: Der wichtigste Ansatz der KI ist, die Wertschöpfung von Maschinen zu erhöhen – also die Produktivität und die Effektivität der Anlage. So hat das Start-up plus10 – übrigens eine Ausgründung des Fraunhofer IPA – gezeigt, wie groß die Fortschritte hier sein können. Bei jedem durchgeführten Projekt hat das junge Unternehmen bisher sein Versprechen gehalten, die Produktivität um mindestens zehn Prozent zu steigern. Das funktioniert mit Verfahren des maschinellen Lernens, die Anomalien erkennen und automatisiert empfehlen, was man tun muss, damit die Maschinen besser laufen. Auch Qualitätssicherung durch intelligente Bildverarbeitung ist ein großes Thema.

Und außerhalb der eigentlichen Produktion?

Bauernhansl: Geht es vorwiegend um Prozessoptimierung durch KI. So kann die Auftragsabwicklung durchautomatisiert werden. Ich kenne Beispiele, bei denen man die Durchlaufzeit von vier Tagen auf vier Stunden reduziert hat.

Was heißt das dann für die Beschäftigten?

Bauernhansl: Wenn man das noch mit Plattformen und Software kombiniert, wo der Kunde selbst seine Produkte konfiguriert und in Call Centern mit Maschinen spricht, dann werden alle Prozesse und Abteilungen durcheinandergewirbelt. Sachbearbeitung, Vertrieb, Buchhaltung – kurz: Den Innendienst, wie wir ihn heute kennen – wird es nicht mehr geben. Binnen zehn Jahren werden wohl 50 Prozent der indirekten Arbeitsplätze in produzierenden Unternehmen verschwinden. Es werden aber auch neue entstehen, für Data Scientists oder IT-Architekten.

Wie sieht es mit den Arbeitsplätzen in den Fertigungshallen aus?

Bauernhansl: Auch da wird sich vieles verändern. Ein Teil der planerischen Aufgaben und der Fehlerbehebung wird direkt an die Maschinen verlagert, denn dort werden die Arbeiter Assistenzsysteme zur Verfügung haben, die ihnen helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Droht uns ein massiver Arbeitsplatzabbau?

Bauernhansl: … hier kommt uns in Deutschland die demografische Entwicklung entgegen, denn in den nächsten Jahren werden viele Mitarbeiter in Ruhestand gehen. Unter heutigen Gesichtspunkten müssten wir einen massiven Mangel an Arbeitskräften befürchten – nicht nur an Fachkräften, sondern auch bei Dienstleistungen, etwa in der Pflege, wo man nicht so hoch qualifiziert sein muss. Doch nun können lernende Maschinen Arbeit übernehmen – von Menschen, die uns künftig gar nicht mehr zur Verfügung stehen. Ich glaube nicht, dass durch den Strukturwandel hin zu KI die Arbeitslosigkeit im produzierenden Gewerbe stark ansteigen wird.

Gibt es Berufsausbildungen, von denen Sie abraten würden?

Bauernhansl: Viele Routinejobs, die gut standardisierbar sind – etwa bei Industriekaufleuten oder im Vertrieb – braucht man künftig kaum noch. Statt Vertriebsgesprächen muss man dann stark auf digitalisierte Inhalte setzen und auf Software, die dem Kunden den Weg zum Produkt weist.

Das KI-Zeitalter beginnt ja gerade erst. Welche Hürden müssen denn noch genommen werden?

Bauernhansl: Die größte Hürde ist die Heterogenität der Systemlandschaft. Heute gehen 80 Prozent der Zeit eines Projektes dafür drauf, Daten so aufzubereiten, dass sie die Maschinen verarbeiten können. Hier muss man eine Art Fabrikbetriebssystem entwickeln, das dafür sorgt, dass unterschiedliche Software mit verschiedenen Hardware-Produkten kombiniert werden kann.

Wie flexibel können Roboter mit KI in Fabriken künftig wirklich arbeiten?

Bauernhansl: Überall, wo Roboter mit Menschen direkt und eng zusammenarbeiten sollen, scheitert man heute an Sicherheitsvorschriften. Je näher Menschen den Robotern kommen, desto langsamer arbeiten diese. Wir müssen Robotern eine Reaktionsfähigkeit beibringen, sodass sie flott neben Menschen arbeiten können, ohne jemanden zu gefährden. Heute können sie auch noch nicht vorausschauend menschliche Bewegungen erkennen.

Wenn man einem Roboter befiehlt, trag mit mir den Tisch nach draußen…

Bauernhansl: … dann wird das heute nicht funktionieren.

Was prognostizieren Sie also konkret für 2030?

Bauernhansl: Ich bin mir sicher, dass auch dann noch viele Menschen in der Produktion gebraucht werden. Wir werden komplexe menschliche Bewegungsabläufe noch nicht durch maschinelles Lernen ersetzen können. Ich glaube nicht, dass Roboter die filigrane Arbeit etwa eines Werkzeugmachers hinbekommen.

Fraunhofer IPA

www.ipa.fraunhofer.de

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