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Mehr messen, schneller messen

Automatisierungstrends in der Mess- und Prüftechnik
Mehr messen, schneller messen

Mehr messen, schneller messen
Für den Karosseriebau sind Turnkey-Messzellen einschließlich Roboter und Messsoftware wie hier die Aibox von Zeiss weit verbreitet. Nun werden andere Branchen folgen, sind sich Experten einig. Bild: Zeiss
Die Qualitätssicherung wandert zunehmend an beziehungsweise in die Fertigung. Ohne Automatisierung ist dies nur schwer zu realisieren. Vor allem dann nicht, wenn Messergebnisse im Sinne eines Closed Loop zur Verbesserung der Produktionsprozesse herangezogen werden sollen.

Autorin: Sabine Koll

Weltweit gesehen ist die Automatisierung in der Qualitätskontrolle derzeit eine der am schnellsten wachsenden Sektoren in der Messtechnik“, sagt Jérôme-Alexandre Lavoie, Produktmanager bei Creaform. Dies bestätigt Dr. Stefan Scherer, Geschäftsführer von Bruker Alicona: „Die Automatisierung ist aus der Qualitätssicherung nicht mehr wegzudenken. Industrie 4.0 oder Smart Manufacturing sind längst keine Schubladenkonzepte mehr, sondern gelebte Realität.“ Ging es laut Scherer in den Anfängen der Messtechnik-Automatisierung darum, in erster Linie automatisiert vordefinierte Messprogramme auszuführen, spreche man heute vor allem von vernetzter Qualitätssicherung und Systemen, die miteinander kommunizieren. „Messtechnik ist keine isolierte und von der Produktion entkoppelte Insellösung im Messraum, sondern integraler Bestandteil der Fertigung“, so Scherer. „Technisch ist in diesem Bereich schon sehr viel möglich“, sagt auch Pascal Kohl, im technischen Vertrieb beim Göppinger Messdienstleister Topometric tätig. „Umgesetzt wird aktuell aber überwiegend die Teilautomatisierung von Anlagen.“

Moderne Automatisierungslösungen in der Mess- und Prüftechnik haben nach Meinung von Experten mehrere Vorteile: „Sie sorgen neben einer deutlich höheren Wirtschaftlichkeit vor allem für gesteigerte Prozesssicherheit. Die Minimierung von manuellen Prozessschritten senkt die Stückkosten, erhöht den Durchsatz und reduziert Bedienfehler auf ein Minimum“, erklärt Dr. Ralf Bindel, Leiter der Business Unit Automated & Robotic Solutions bei Zeiss. „Der Mangel an qualifizierten Technikern, der Wunsch nach mehr Informationen und der Flaschenhals, der mit herkömmlichen Koordinatenmessgeräten erzeugt wird, schaffen eine natürliche Bewegung der Industrie in Richtung automatisierte Qualitätskontrolle“, so Scherer.

Benjamin Jobst aus dem Geschäftsbereich Produktions- und Prüfsysteme beim Automatisierungsspezialisten Heitec weiß: „Mit automatischen oder halbautomatischen Prüfgeräten bekommen Anwender stets reproduzierbare Prüfergebnisse und können somit auf Fertigungsschwächen schließen. Dies sichert die Produktion gegenüber ungerechtfertigten Gewährleistungsansprüchen ab und erhöht die Fertigungsqualität der produzierten Produkte.“ Grundsätzlich gelte dabei, dass die Prüfbedingungen standardisiert und die Prüfmerkmale eindeutig spezifiziert sein müssen, damit ein Mess- und Prüfsystem in eine industrielle Fertigung integriert werden kann.

Wenn Fertigungsunternehmen über Messtechnik-Automatisierung nachdenken, geht es ihnen nach Einschätzung von Creaform-Produktmanager Lavoie nicht nur darum, mehr Informationen zu erhalten, sondern vor allem um „mehr Wissen“ und „schnelleres Wissen“. Kein Wunder, dass aus diesem Grund optische Technologien auf dem Vormarsch sind. „Traditionelle Koordinatenmessmaschinen sind sehr genau, aber oft zu langsam und können nicht im Fertigungsbereich oder inline installiert werden. Optische Technologien bieten eine Lösung für Geschwindigkeit und echte Genauigkeit unter Werkstattbedingungen“, so Lavoie.

Zeiss-Manager Bindel stellt indes klar, dass die Automatisierung keineswegs nur mit dem Einsatz optischer Technologien verknüpft ist. Deshalb bietet der Messtechnikhersteller Automatisierungslösungen sowohl für optische und taktile Mess- und Prüfaufgaben als auch für Röntgentechnologie an. So hat Zeiss zum Beispiel Automatisierungslösungen für die Computertomografie, die es ermöglichen, Einzelstücke im mannlosen Betrieb über Nacht auszuwerten.

Auch Topometric-Experte Kohl hält optische Technologien nicht für zwingend notwendig, wenn man Mess- und Prüftechnik automatisiert. Aber in der Realität sieht er sie auf dem Vormarsch: „Die optischen Sensoren werden von verschiedenen Seiten stark entwickelt – angefangen bei der Mustererkennung für Smartphone-Kameras über Sensoren für autonomes Fahren bis hin zur Industrieautomation. Wahrscheinlich dürfen wir hier in den nächsten Jahren noch einige technologische Sprünge erwarten.“

In welchen Bereichen wird derzeit vor allem automatisiert? Die Automobilindustrie zählt hier einmal mehr zu den Vorreitern. Speziell für Messaufgaben in und an der Linie im Karosseriebereich gibt es seit einigen Jahren mehr oder weniger standardisierte, automatisierte Messzellen. GOM machte seinerzeit den Anfang mit der Atos Scanbox, die mittlerweile in neun Varianten für unterschiedliche Bauteilgrößen und Anwendungen zur Verfügung steht. Sie alle lassen sich mit dem Zusatzmodul „Virtueller Messraum“ aufrüsten, mit dem sich alle Roboterbewegungen simulieren und auf Sicherheit prüfen lassen.

Zeiss zog 2015 mit der Aibox nach, in deren Zentrum ein robotergeführtes optisches 3D-Messsystem steht. „Die Aibox bringt die rückführbare Koordinaten-Messtechnik in die Produktion. Der Weg zum Messplatz wird deutlich verkürzt. Ergebnisse sind somit deutlich schneller verfügbar und damit können Prozesse schneller angepasst werden“, betont Zeiss-Manager Bindel.

Lösungen out of the box,
aber flexibel anpassbar

Doch eine standardisierte Automationslösung passt nicht für alle Anwendungsfälle. Daher geht die Entwicklung hin zu flexiblen Lösungen. So verfügt die seit anderthalb Jahren erhältliche Aibox Flex von Zeiss über eine zusätzliche siebte Achse und lässt sich durch einen modularen Aufbau an die Wünsche des Kunden anpassen. So können beispielsweise die Beladungssysteme in die Box fahren. Auch die Größe der Anlage kann bestimmt werden – um beispielsweise die kompletten Seitenteile von Karosserien fertigungsnah zu scannen. Ebenfalls wählbar ist die Anzahl der verfügbaren Messplätze, denn der Messroboter bewegt sich auf einer Schiene. Die Entwicklung geht noch weiter. So verrät Zeiss-Manager Bindel: „Auf der diesjährigen Control werden wir eine neue Messzelle für den Einsatz außerhalb des Karosseriebaus vorstellen.“

Ein aktuelles Beispiel für die Automatisierung der Computertomografie liefert Heitec: Der Automatisierungsspezialist hat BMW und das Fraunhofer-Entwicklungszentrum Röntgentechnik EZRT dabei unterstützt, ein neues Riesen-CT in einem Bleibunker mit einer Größe von 7 x 9 x 4,5 m zu entwickeln, mit dem Fahrzeuge bereits in frühen Entwicklungsphasen komplett gescannt werden können. Die Scans werden von vier koordinierten Robotern durchgeführt, die auf zwei externen Linearachsen verfahren.

Doch nicht nur die deutschen Messtechnikhersteller haben automatisierte Messzellen auf dem Radar: Auch Hexagon bietet mit 360° SIMS – die Abkürzung steht für Smart Inline Measurement System – schon lange eine flexible Lösung für die voll automatisierte Prozess- und Qualitätskontrolle im Automobilbau an, die eine Vielzahl unterschiedlicher Zellenkonfigurationen für die robotergestützte 3D-Messung und Prozesskontrolle ermöglicht. Diese Messlösungen umfassen Industrieroboter als flexible Plattformen zur Sensorpositionierung, Weißlichtsensoren zur Flächenmessung, Messsoftware, die Integration in Automatisierungsvorrichtungen, Linienautomatisierung und Anlagensteuerung sowie Tools für große Datensätze, farbcodierte Darstellungen und individuelle Erstellung von Messprotokollen.

Und auch Creaform hat im vergangenen Jahr auf der Control mit dem Cube-R eine schlüsselfertige Turnkey-Messzelle vorgestellt, die keine Integration erfordert. Diese misst Teile von bis zu 3 m Länge und kann innerhalb von drei Tagen beim Kunden installiert werden. Da es sich um eine automatisierte Lösung handelt, erfolgt der gesamte Kalibrierungsprozess ebenfalls vollautomatisch.

Das große Ziel der Branche ist allerdings eine Inline-Messtechnik, die für geschlossene Regelkreise (Closed Loop) sorgt. „Herzstück von Closed Loop ist die Integration der Messtechnik in die Fertigung inklusive Kommunikation und Vernetzung aller beteiligten Systeme“, erklärt Bruker-Alicona-Geschäftsführer Scherer. „Produktionssysteme, Maschinen und Messtechnik bilden einen geschlossenen Kreislauf, wodurch ein Erstteil sofort als Gutteil produziert wird. Die eingebundene Messtechnik verifiziert in einem sehr frühen Fertigungsstadium Dimensionen, Toleranzen und Oberflächengüte.“ Erkennt der Messsensor, dass ein Bauteil fehlerhaft ist, wird diese Information in den Produktionskreislauf eingespeist und selbiger adaptiert.“

Closed Loop – eher noch
Wunsch als Wirklichkeit

„Das neue Konzept des Closed Loop beinhaltet eine bessere oder direkte Kommunikation zwischen Qualitätskontroll- und Fertigungsteams oder -maschinen“, bestätigt Creaform-Produktmanager Lavoie. Doch sind sich die Experten uneins, wie weit dieses Konzept heute schon greift: „Unsere Automatisierungslösungen basieren seit mehreren Jahren auf dem Closed-Loop-Konzept“, so Scherer. Stark nachgefragt für die Umsetzung dieses Konzepts sei bei Alicona Bruker die Cobot-Serie, die Kombination von optischer 3D-Messtechnik und kollaborativer Robotik.

Auch Zeiss-Manager Binder berichtet von vielen spezifischen Lösungen, die am Markt funktionieren: „So kann durch die Kombination der MES-Software Zeiss Guardus mit den Zeiss-Messsystemen eine homogene Datenbasis von Produkt- und Prozessdaten erzeugt werden, die das Fundament automatisierter Steuerungsverfahren, lernender Systeme – Predictive Quality – sowie autonomer Prüfmethoden in der Qualität 4.0 bildet.“

Laut Kohl, Topometric, gibt es aber in der Praxis bisher nur sehr wenige Umsetzungsbeispiele. „Meiner Meinung nach liegt es an gewachsenen Fertigungsverfahren, die in sich teilweise sehr kompliziert sind. Heutige Prüfergebnisse von 3D-Scannern können zwar Zustände festhalten, jedoch ist jeweils der Prozessexperte derjenige, der diese zu verstehen weiß, um daraus Schlussfolgerungen zur Prozessoptimierung abzuleiten.“

Das sieht auch Heitec-Experte Jobst so: „Zwar kann man anhand der Statistik erkennen, wann Fehler aufgetreten sind, aber das ist immer ein Blick in den Rückspiegel. Die Herausforderung an einen effizienten und funktionsfähigen Closed Loop wird sein, die gesammelten Daten systematisch aufzubereiten. Erst dadurch können verlässliche Aussagen zur Steigerung der Fertigungsqualität getroffen werden.“

Alicona Imaging GmbH

www.alicona.com

Creaform Deutschland GmbH

www.creaform.com

Heitec AG

www.heitec.de

Topometric GmbH

www.topometric.de

Carl Zeiss AG

www.zeiss.de


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